Klartext Raumfahrt

Nihil fit sine causa

Und wenn die Bombe droht?

Atomare Strahlung
©Microsoft

Nur die Harten für den Garten – ohne Galileo und IRIS2

Unbemerkt von weiten Teilen der Weltbevölkerung hat die katholische Kirche vor wenigen Wochen eine dramatische Kehrtwende in ihrer Lehre zu Wundern und Wunderglauben vollzogen: ab sofort müssen Verdachtsfälle ein sechsstufiges Bewertungsverfahren durchlaufen, an dessen Ende der Vatikan mit unterschiedlichen Nuancen der Bestimmtheit Brief und Siegel darauf gibt ….. dass es sich wohl doch wohl eher nicht um ein Wunder handelt. Damit bleiben Wunder an sich eine Möglichkeit, allein praktisch gesehen gibt es keine mehr.

Auf zum Gefecht auf LEO?
Das gilt nicht nur auf der Erde, sondern auch im All: so wäre es ja auch ein Wunder gewesen, hätte die Ausdehnung menschlicher Aktivitäten in den Weltraum plötzlich ab Höhenkilometer 100 rein friedliche Züge angenommen. Gerade in den derzeit herrschenden Kriegszeiten wird deutlich: Wunder gibt es nicht, auch nicht jenseits der Atmosphäre.

Denn aktuell mehren sich Berichte, denen zufolge Russland an einem Anti-Satelliten-System arbeitet, das eine nukleare Explosion zur Erzeugung eines elektromagnetischen Impulses (EMP) nutzen würde, um Satelliten außer Gefecht zu setzen oder zu zerstören. Passiert ist noch nichts dergleichen, nach Angaben u. a. aus Kreisen des amerikanischen Außenministeriums gibt es zwei russische Verdachtsfälle: COSMOS-2553, der im Februar 2022 – also direkt zu Kriegsbeginn – gestartet wurde und sich derzeit in einer Bahn von 2.100 Kilometern Höhe aufhält, und COSMOS 2576 mit Startdatum Mai 2024, die als angeblich nukleare Antisatwaffen ihren Dienst für Russland tun sollen.

Parallel zu den Vorbereitungen für die Invasion in der Ukraine testete Russland aber auch schon im November 2021 eine A-235 Nudol ASAT-Rakete gegen einen seiner inaktiven Satelliten: Die Zerstörung des Raumfahrzeugs hinterließ 1.700 Trümmerteile in der niedrigen Erdumlaufbahn und bedrohte andere Satelliten und bemannte Raumstationen.
 
Absurdität am Rande: Zwei Resolutionen des UN-Sicherheitsrates im April und Mai 2024 für ein Verbot von Atomwaffen im All scheiterten übrigens an Vetos der Gegenseiten. Es wollen also alle eigentlich dasselbe – nur eben nicht dann, wenn es die andere Seite beantragt. Unbestätigten Gerüchten zufolge erleben Erzieherinnen so etwas jeden Tag.
 
LEO-Konstellationen: ideale Weltraum-Opfer von Atombomben
Die Detonation einer Atomwaffe erzeugt einen elektromagnetischen Impuls durch ein sofortiges, intensives Energiefeld, das zahlreiche elektrische Systeme und hochtechnologische Mikroschaltkreise überlasten oder aus der Ferne stören kann.

Die unmittelbare Wirkung ist die Exposition gegenüber den Röntgen-, Gamma- und Ultraviolettphotonen der Detonation. Diese Wirkungen treten im Moment der Detonation auf und schädigen Satelliten, die in direkter Sichtlinie zu den Detonationen stehen.

Die Schutzschichten der betroffenen Solarzellen werden beschädigt oder zerstört, sodass die betroffenen Satelliten ihre Stromerzeugung einbüßen. Die Halbleiter in den Schaltkreisen an Bord von Satelliten werden ebenfalls beschädigt, Kurzschlüsse lassen die betroffenen Komponenten durchbrennen. Diese kombinierten Auswirkungen könnten jeden Satelliten in Sichtweite schwer beschädigen oder vollständig außer Gefecht setzen. Satelliten, die weiter von der Explosion entfernt sind, haben eine gewisse Überlebenschance.

Auf diese unmittelbare folgt eine langfristige Wirkung der Detonation: die Strahlenbelastung durch eingefangene ionisierte Teilchen. Eine solche Explosion setzt große Mengen geladener Teilchen im Weltraum frei, die vom Erdmagnetfeld eingefangen werden können und die normalen Van-Allen-Strahlungsgürtel über einen längeren Zeitraum erheblich verstärken. Schließlich zerstreuen sich die eingeschlossenen Teilchen, was auf GEO etwa 30 Tage und auf LEO fast 300 Tage dauert. Das größte Risiko besteht im LEO in den ersten 10-20 Tagen und im GEO in den ersten 2-3 Tagen.

Nur die Härte
Kommerzielle Satelliten sind in der Regel nicht gegen nukleare Strahlung gehärtet. Sie werden im Angriffsfall alle unbrauchbar. Anders beim militärisch geplanten GPS: es ist mit Sensoren zur Erkennung von Kernwaffendetonationen ausgestattet und hat nach allem, was inoffiziell darüber bekannt ist – offiziell ist nämlich nichts bekannt – wie andere militärische Nachrichtendienst- und nukleare Kommando- und Kontrollsatelliten der USA gegen nukleare Angriffe gehärtete Oberflächen. Das ist kein Allheilmittel, kann aber vor allem den optisch gesicherten Verbund von Satelliten auf verschiedenen Orbits in seiner Funktion zur Not erhalten, weil nicht alle Satelliten gleichermaßen stark be- bzw. getroffen sein werden. Im All als Garten Eden der Zukunft scheint ein Platz reserviert: für die Harten. Dazu gehören sollen offenbar bald auch die ersten kommerziellen Satelliten der USA – zumindest solche, die intelligente Funktionen für Steuerungen wesentlicher Prozesse und Technologien auf der Erde innehaben. Die Zusatzkosten für die Härtung, so der entsprechende Vorschlag, soll der Staat übernehmen.

NewSpace: Sparen um jeden Preis?
Satelliten durch Härtung extra zu schützen ist teuer und widerspricht radikal dem derzeitigen NewSpace-Trend hin zu allem, was beim Sparen hilft. Andererseits könnte diese Maßnahme – eventuell in Kombination mit anderen – den erzwungenen vorzeitigen Ersatz ganzer Konstellationen ein- sowie das zwischenzeitliche ebenso teure Chaos auf der Erde bei satabhängigen IoT-Systemen ersparen. So weit wie die Amerikaner mit GPS ist die EU-Kommission als Chef im Ring(en) um Galileo nie gekommen. Zwar gibt es keine zugänglichen Unterlagen in Europa im Hinblick auf die Frage, wie Galileo technisch gegen Strahlung jenseits der natürlichen (bspw. jene durch den van Allen Gürtel) geschützt ist. Und auch der Hersteller der ersten Tranche der Konstellation, die Bremer OHB, lässt auf Anfrage in der Sache „aus Sicherheitsgründen“ auch nicht tiefer blicken. Dafür entschädigt die Antwort des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums auf diese Frage in einer einzigen trocken formulierten Zeile: „Galileo satellites will forgo nuclear hardening“: Galileo-Satelliten werden auf die nukleare Härtung verzichten. Damit ist der Fall Galileo für die Amerikaner erledigt. Sehr besorgt um Galileo müssen sie ohnehin nicht sein, solange der Bündnispartner Bundeswehr  sowieso ihr GPS benutzt.

Europas Prestigeobjekt sicherheitstechnisch wie ein Spielzeug?
In besonderem Maße würde der erhöhte Schutzbedarf jetzt natürlich jenseits von Galileo auch auf die IRIS2 Konstellation der EU-Kommission zutreffen. Ganz einfach schon deshalb, weil dieses Projekt so immens teuer wird, selbst wenn die Bundeswehr es nicht braucht. Aber ausgerechnet von diesem hoch gepriesenen, supersicheren technologischen Spitzensystem für die europäische Zukunft, das noch quantengesichert funktionieren soll, wenn alles andere in Schutt und Asche liegt,  sind derzeit vornehmlich die Pläne zur Verdoppelung der Kosten, aber keine zum Widerstand gegen rohe Gewalt im All bekannt. Und das, obwohl schon im Dezember 2023 der digitalpolitische Sprecher und HighTech-Experte derUnionsfraktion, Dr. Reinhard Brandl, die Planung der Konstellation ohne (militärischen) Schutz gegen rein phyische Angriffe als völlig absurd brandmarkte.

Die KTR vorliegende Ausschreibung der erweiterten Studienphase des Projekts enthält in Kapitel 1.4.2. lediglich den Hinweis, dass das System Schutz für andere kritische Infrastrukturen bieten und selbst gegen „cyber threats“ und „hybride Bedrohungen“ gewappnet sein soll. Insbesondere einen ganz konkreten Bedarf an Wappnung gegen atomare und kinetische Bedrohungen sieht die EU-Kommission nicht. Mit anderen Worten: in Brüssel scheint niemand damit zu rechnen, dass jemand einfach daherkommt und das Spielzeug kaputt macht – selbst wenn auch schon Generationen besagter Erzieherinnen ein Lied gerade davon singen können…

Vor diesem Hintergrund steht die harsche deutsche Forderung an EU-Kommissar Thierry Breton, die ganze Sache noch mal von vorne anzugehen, in einem ganz anderen Licht da. Selbst wenn das BMWK bisher seine Sicht vor allem mit kosten- und industriepolitischen Argumenten (pro KMU und Wettbewerb, gegen ein Monopolkonsortium vornehmlich französischer Großindustrie) unterfüttert, gäbe der Aspekt der vermutlichen sicherheitstechnischen Untauglichkeit im beschriebenen Sinne  jetzt die Gelegenheit zum Nachlegen.

Und wo bleibt das Wunder?
Was den Ruf nach verstärkter Härte kommerzieller Satellitenprojekte angeht, bleibt die Frage aktueller denn je, an welcher Priorität sich Europa demnächst ausrichten wird: weiterhin nach dem Motto „einmal viel und billig sofort“,  oder doch etwas mehr jetzt zur Sicherheit für den Morgen danach? Bis zur endgültigen Klärung hat Rom jedenfalls auf diese alte Frage eine ernüchternde Antwort: Wunder gibt es … wohl eher nicht.

 

Quellen:

https://news.satnews.com/2024/06/13/insight-faq-what-we-know-about-russias-alleged-nuclear-anti-satellite-weapon/

https://www.npr.org/2024/05/30/nx-s1-4975741/what-to-know-russia-satellite-space-weapon-cosmos-2576

The Cadre Papers: GPS versus Galileo

Defense Threat Reduction Agency: Technical Report, Collateral Damage to Satellites from an EMP Attack, August 2010

https://www.spiegel.de/panorama/katholische-kirche-vatikan-reformiert-bewertung-angeblicher-wunder-a-e111b835-d291-4282-89a0-71540951414f