Kommentar und Glosse
Man kann von Ursula von der Leyen halten und teilweise auch sagen, was man will, in einer Hinsicht werden sich Freunde und Feinde wohl einig sein: was immer sie sagen will, es kommt im Gewand der gerade angesagtesten Buzzwords daher. Rhetorisch durchaus raffiniert, denn Buzzwords sind deshalb ebensolche, weil sie gerade bei der Mehrheit en vogue sind.
So leitete von der Leyen dann auch einen Prozess ein, der zur Definition eines europäischen Weltraumgesetzes führen sollte und kündigte 2023 ein EU-Raumfahrtrecht an, das sich auf „Sicherheit“, „Resilienz“ und „Nachhaltigkeit“ konzentrieren soll, und zwar als „Priorität“ für 2024. Ziel sei es, die durch unterschiedliche nationale Gesetze verursachten „Marktbarrieren abzubauen“ und die „Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Raumfahrtsektors zu erhöhen“. Alles drin, alles dran, für jeden was dabei: Sicherheit für das blau-schwarze Spektrum, Nachhaltigkeit für das grün-rote, Markt und Wettbewerb für die Mitte (farblos) und der schwammigste Passpartout-Begriff im derzeit modischen Politsprech – „Resilienz“ – ist dann noch einer für alle. Das Ganze dann auch noch getoppt mit dem Sahnehäubchen der „Priorität“ der obersten Leitung – der Begriff krönt schlussendlich das Gebilde mit wohltemperiertem Basta. Stolz soll es die Untertanen machen auf ihre entschlossen voranmarschierende Führung. Wie könnte sich jetzt noch eine spontane Mehrheit gegen den Inhalt der Initiative bilden?
Schon schwierig, aber erst durch einen zweiten Kniff in der Tat völlig unmöglich: Es gibt nämlich gar keinen Inhalt. Der Grund ist so einfach wie einleuchtend: zehn der 27 europäische Länder haben schon lange genau definierte nationale Weltraumgesetze, die den Raumfahrtbetrieb des Privatsektors im Hinblick auf Genehmigungen und Überwachung der kommerziellen Aktivitäten gemäß Artikel VI des Weltraumvertrages von 1967 im Blick haben. Sie kriegen das alles tatsächlich seit Jahren schon unfallfrei alleine hin. So sehr die EU sich auch als einzig legitime Zentralverwaltung mit der Lizenz zum Regeln für alles von der Gurke bis zum Raumschiff betrachten mag, so gering wären ihre Aussichten, den Mitgliedsländern mit bestehendem Weltraumrecht auf nationaler Ebene ihre Souveränität auf dem Gebiet einfach wegzunehmen und allen Mitgliedern stattdessen eine europäische Version zu verordnen.
Die EU müsste jetzt also nach Lücken suchen, derer sie sich bemächtigen könnte. Die astronautische Raumfahrt wäre nach derzeitiger Lage ein solches Feld – letztlich aber womöglich auch ein zu kleines. Viel attraktiver, weil eben viel größer, wäre eben ein Feld mit den Polen „Sicherheit“ und „Nachhaltigkeit“ sowie dem zusätzlichen Faktor der Unbestimmtheit bis hin zur Beliebigkeit durch „Resilienz“.
Deutschland beispielsweise, bisher seit über 10 Jahren trotz entsprechender Vorsätze in Koalitionsverträgen unfähig, es den ganz großen Weltraum(rechts)nationen Europas wie Liechtenstein und Luxemburg gleichzutun, könnte sich als Unterstützer dieser Variante entpuppen. Denn es scheint der hiesige nun angestoßene Prozess hin zu einem nationalen Weltraumrecht doch vorzusehen, dass die EU den ersten Schritt auf einem Pfad macht, dem dieses Land dann mit seiner nationalen Weltraumrechts-Variante per paste© einfach folgen könnte – ganz im Sinne der Ampel mit ihrer konsequenten Abschiebepraxis der Raumfahrt in Richtung Europa zu Ungunsten nationalen Fähigkeitsaufbaus und damit auf Kosten ihrer mittelständischen Industrie.
Zumal in Deutschland – wenigstens aus Sicht einer leidenschaftlichen Fangemeinde der Idee von Verwaltung als Selbstzweck – der Druck ja schon aus dem Kessel ist. Denn nach Festlegung der Eckpunkte eines nationalen Weltraumgesetzes durch das Kabinett steht die Ampel für den aus Bürokratensicht wichtigsten Eckpfeiler schon auf Grün: er ist aus Beton und trägt das neue Dienstgebäude einer bisher von niemandem vermissten Verwaltungsbehörde zur Regulierung, Kontrolle und Überwachung des fliegenden Verkehrs unter deutscher Flagge im All: Mission space law accomplished – und dazu viele neuen Topjobs für unliebsam gewordene wie auch für besonders verwaltungsverdiente Bürositzgegenüber. Auch so geht Abschiebung. Diese neue Behörde hat möglicherweise garnichts zu tun, weil ihre Ankündigung schon dazu führt, dass startwillige Unternehmen in Länder mit industriefreundlichem Weltraumgesetz abwandern. Das hat bei 85% der deutschen Handelsschiffe, die mittlerweile unter fremder Flagge fahren, ja auch schon prima geklappt und ist aus Verwaltungssicht vielleicht sogar vorteilhaft – also, für die Verwaltung.
Bevor es in Brüssel wiederum so weit ist, Inhalte festlegen zu können – also welche Inhalte auch immer – , müsste zudem erst einmal geklärt werden, welche Form das „Weltraumgesetz“ der Europäischen Union annehmen soll bzw. überhaupt kann. So könnte es auch unterhalb der Gesetzesschwelle im Gewand von Verordnungen oder Richtlinien daherkommen, genauso gut aber auch nur als Litanei politischer Grundsätze – womit man dann wieder auf dem Niveau der Rhetorikschablone für Sonntagsreden angekommen wäre.
Wie auch immer die Lösung für Form und Inhalt des europäischen Weltraumgesetzes aussehen wird ist derzeit also überhaupt nicht abzusehen. Der einzige Lichtpunkt am Ende des Tunnels, dass nämlich auch nicht klar ist, wann die EU – und dann auch Deutschland – den neuesten Frankenstein ihrer Bürokratie auf die Industrie loslässt, ist allerdings vermutlich der Scheinwerfer des entgegenkommenden Zuges. Denn als sicher kann gelten, dass mit dem Druck der Priorität von ganz oben, der geballten Schaffenskraft von fast 300 wild entschlossenen und zu allem bereiten Verwaltern ganz wichtiger Akten sowie nominell 25 Milliarden Euro Finanzrahmen im Kreuz irgendwann irgendetwas irgendwie entsteht und allen Mitgliedsländern verbindlich vorgeschrieben wird. Es wird neue Berichtspflichten mit sich bringen – wetten, dass? – und garantiert „nachhaltig“, „sicher“ und „resilient“ sein.
Vorausgesetzt, es gibt bis dahin keine neuen Buzzwords.