Mit KTR sprach Gerold Otten, Wahlkreis München Land
Das nachfolgende Interview entstand im Rahmen der KTR-Aktion zur Erfassung des Meinungsbildes und des Engagements der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Sachen Raumfahrt-KMU. Die Ergebnisse der Aktion aus allen betroffenen 95 „Raumfahrt“-Wahlkreisen insgesamt – hier in KTR online ab 19. November 2024 – können je nach Empfindlichkeit ernüchtern oder auch erschüttern. Umso erfreulicher nahmen sich die Erfahrungen mit einer kleinen Gruppe Abgeordneter aus, die über ihre Teilnahme am Meinungsbild hinaus auch bereit waren, sich im Rahmen eines Interviews noch einmal dezidiert wie kompetent zur aktuellen Raumfahrtpolitik zu äußern. Für das folgende Gespräch dankt die Redaktion von KTR sehr herzlich Herrn Gerold Otten, MdB des Wahlkreises München-Land.
Herr Otten, mit welchen Stichworten sehen Sie sich am besten in der Kurzfassung vorgestellt?
Ich bin Gerold Otten, 68 Jahre alt und seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Zuvor diente ich Deutschland als Offizier in der Luftwaffe (BO 41) und danach war ich für Airbus Defence and Space tätig, zuletzt als Sales Manager für den Eurofighter. Der AfD bin ich 2013 beigetreten und mein Wahlkreis ist München-Land. Mein Tätigkeitsbereich als Abgeordneter ist die Außen- und Verteidigungspolitik, ich bin Mitglied im Unterausschuss Abrüstung sowie stellvertretender Vorsitzender der Parlamentariergruppe Luft- und Raumfahrt des Deutschen Bundestages.
Welche Positionen und Prioritäten befeuern Ihr Engagement für Unternehmen, Institutionen und insbesondere KMU der Raumfahrt in Ihrem Wahlkreis?
Ich betrachte Raumfahrt nicht als Science-Fiction, sondern als Quelle für Innovationen. Die jüngsten technologischen Entwicklungen eröffnen ungeahnte Möglichkeiten und es herrscht eine allgemeine Aufbruchsstimmung. Gerade Unternehmen, die in der Raumfahrt tätig sind, sind hoch innovativ, brauchen hervorragend ausgebildete Köpfe und haben eine Strahlkraft auf ihre Region. Deutschland ist noch das Land der Hidden Champions. Das betrifft in einem besonderen Maße die Raumfahrt, wo deutsche Unternehmen Nischen als Marktführer besetzen, qualitativ hochwertig arbeiten, Produkte in hoher und verlässlicher Qualität produzieren und aus natürlichem Antrieb heraus Innovationen samt Prozessoptimierungen vorantreiben. Diese Unternehmen fördern das Potenzial ihrer Mitarbeiter, bieten hochwertige Arbeitsplätze und schaffen Wohlstand. Einem Politiker sollte daran gelegen sein, für die nötigen Voraussetzungen zu sorgen, dass sich Unternehmen in seiner Heimatregion ansiedeln und frei entfalten können.
Einen wesentlichen Eckpfeiler der Entwicklung technologischer Fähigkeiten Deutschlands in der Raumfahrt setzt das Nationale Raumfahrtprogramm. Allerdings ist dies nominell exakt noch auf dem gleichen Stand wie vor einem Vierteljahrhundert quasi eingefroren. Frankreich dagegen investiert allein über diesen Titel in Technologieentwicklung und -ertüchtigung der eigenen Raumfahrtindustrie sowohl für internationale Projekte wie auch für kommerzielle Märkte im Wert von 700 Millionen EUR. Wie soll Deutschland am besten darauf reagieren?
Die Bundesregierung unterstützt die betreffenden Unternehmen bekanntlich über das Nationale Programm für Weltraum und Innovation sowie durch deutsche Beiträge zur ESA. Entgegen den üblichen Lippenbekenntnissen der derzeitigen und vorherigen politischen Verantwortungsträger ist und bleibt das Budget aber knapp und leider sind auch die damit verbundenen Ambitionen niedrig.
Aus meiner Sicht ist es nötig, die Investitionen in diesen Bereich zu erhöhen und zu verstetigen. Das Geld ist potenziell vorhanden, doch wird es seit Jahren in anderen Haushaltsposten verwendet (Stichwort konsumtive Ausgaben). Zudem gäbe es haushälterische Möglichkeiten, die Mittelverwendung zu flexibilisieren, wenn es der Gesetzgeber nur wollte.
Ich halte fest: Der bundesdeutsche Haushalt besitzt durchaus Spielräume für eine höhere und verlässliche Finanzierung. Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Steuerzahler versteht, dass es sich im Grunde bei diesen Ausgaben um ebensolche nötige Investitionen handelt, wie beispielsweise bei der Modernisierung unserer Infrastruktur.
Im kommenden Jahr findet die Ministerratskonferenz der ESA in Bremen statt. Es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten vorauszusehen, dass die Berichterstattung in der Breite besonders von massentauglichen Faszinosa wie etwa der astronautischen Besiedlung des Mondes geprägt sein wird. Raumfahrt-KMU sind darauf angewiesen, dass sie einerseits von vornherein in Projekte aller Größenordnungen eingebunden werden, andererseits aber noch genügend Mittel im Rahmen allgemeiner Technologieförderung (Stichwort „GSTP“) für die nächsten Jahre bereitgestellt werden. Welche Wege in Berlin empfehlen Sie den KMU für die Umsetzung beider Ziele, und was können Sie für die Unternehmen Ihres Wahlkreises dahingehend tun?
Einerseits ist es wichtig und richtig, dass KMU ein fester Bestandteil nationaler Programme sind. Eine höhere und sicherer Finanzierung ist wünschenswert und unterstützt zugleich KMU bei der Planbarkeit eigener Entwicklungen. Das ist die nationale Ebene. Hier liegt die Initiative beim Gesetzgeber, wohingegen auf EU-Ebene letztlich die Mitgliedstaaten entscheiden. Dabei unterliegen die Programme der ESA der Bereitschaft jedes einzelnen Mitgliedstaates der EU, Gelder aufzubringen oder wohlmöglich nachzuschießen, damit laufende Projekte nicht stillstehen (Stichwort Verlässlichkeit und Planbarkeit). Daneben ist die Einbindung von KMU in laufende Projekte der ESA noch erheblich verbesserungswürdig, obgleich die prozessualen Richtlinien eine größere Beteiligung nahelegen.
Ein gangbarer Weg, um KMU besser einzubinden, wäre es, die deutschen Zusagen zur Finanzierung der ESA und zur Finanzierung gemeinschaftlicher Projekte an eine exakte Umsetzung der bestehenden Instrumente (C1-C4-Clauses) zu binden. Die bestehenden Hindernisse sind zu analysieren und zu beseitigen. Zudem ist es möglich, den großen Systemhäusern nahezulegen, KMU bei der Projektdurchführung stärker zu berücksichtigen.
„Resilienz“ und „dual use“ sind bei Technologiedebatten mittlerweile häufige Stichworte. Wie kann – und soll überhaupt? – die Politik dafür sorgen, dass KMU in ihrer Eigenschaft als Innovateure auf Augenhöhe mit den Branchenriesen auch bei militärischen Themen eingebunden werden?
Grundsätzlich halte ich nichts davon, Innovationen als etwas Bedrohliches zu betrachten. Dual-Use- oder andere Bedenkenträger-Debatten mögen dazu beitragen, potenzielle Risiken zu verstehen; sie sind aber grundsätzlich aus dem Blickwinkel deutscher wirtschaftspolitischer, technologischer und standortpolitischer Interessen zu bewerten.
Kernaufgabe staatlichen Handels ist die Verteidigung der nationalen Souveränität und der territorialen Integrität. In engster Verbindung dazu steht die Schaffung, Erhaltung und Förderung einer leistungsfähigen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Gerade im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie hat die letzte Bundesregierung Kernfelder definiert. Doch bei Willensbekundungen darf es nicht bleiben. Dem nationalen Anspruch auf Technologieführerschaft müssen auch Taten folgen, und zwar unter der Prämisse der Erfüllung des Kernauftrages des Staates: Wahrung der Souveränität und Integrität.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet verschwimmen Bedenken und sind gegenüber den sicherheits- und verteidigungspolitischen Notwendigkeiten als nachrangig zu betrachten. Oder kurz ausgedrückt: Die Berührungsängste und Vorbehalte zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft sind zu beenden. Die Akteure müssen miteinander verzahnt werden.
Speziell auf EU-Ebene, aber auch bei der ESA, erzeugt vor allem ein Phänomen bei den KMU der Raumfahrt Reaktionen zwischen Resignation und blankem Entsetzen: die Bürokratie. Besonders das als ausufernd empfundene Berichtswesen schafft hier nicht nur Unmut, sondern durch den Personalaufwand handfeste Kostenbelastungen, übrigens auch dadurch, dass auftraggebende Großunternehmen ihre eigene Bürokratie-Belastung auf die Zulieferer abwälzen. Dazu kommt die unangenehme Gewissheit, dass für die „Ganztagsbetreuung“ des Themas bei der EU wieder neue Planstellen mit Steuergeldern finanziert werden. Wie lässt sich dieser Automatismus effektiv unterbrechen?
KMU sind in der Zwickmühle, einerseits auf nationale und EU-Förderung angewiesen zu sein, ohne andererseits in ihrem unternehmerischen Entscheidungsspielraum zu sehr eingeschränkt zu werden. Das in der Frage genannte Berichtswesen ist seinerseits ein Ausfluss der Vorstellung von Bürokraten, alles kontrollieren zu müssen, was gefördert wird. Bekanntlich ist die AfD kein Freund von Zentralisierungsbestrebungen. Die Förderung auf nationaler und auf EU-Ebene müsste daher mehr auf die Unterstützung von Marktteilnehmern und Projekten ausgerichtet werden, die eine Wachstumsstrategie verfolgen, statt vorher festgelegte Bedarfe zu befriedigen und Forschungen in ein Zeitkorsett zu zwängen. Beim Projektvollzug sollten nötige Berichtspflichten vereinfacht und gestreckt werden, die Nachhaltigkeitsberichte können vollkommen aufhören. Das gilt insbesondere auch für das Lieferkettengesetz, das gerade KMU über alle Maßen belastet.
In Deutschland übrigens ein ähnliches Phänomen: Noch ist nicht einmal ein Referentenentwurf zum Thema „nationales Weltraumgesetz“ geschrieben, da wird schon festgelegt, dass für das Thema eine eigene Behörde geschaffen werden muss. Kann man beim Thema „Bürokratie“ mittlerweile schon von einem nur noch sehr schwer zu durchbrechenden Pawlowschen Reflex der Politik ausgehen – braucht es dafür also vielleicht schon so etwas wie politische Psychotherapie?
Ja. Es ist mir ohnehin schleierhaft, dass die existierenden Strukturen unfähig sein sollen, aus sich heraus neue Aufgaben zu übernehmen. Die allenthalben vorherrschende Bürokratie ist Ausfluss einer stets wachsenden Verrechtlichung, die ihrerseits die Innovationskraft einschränkt.
Herr Otten, wir danken Ihnen herzlich und würden uns sehr freuen, Sie zur Vorstellung des Meinungsbildes der deutschen MdB zur Raumfahrtpolitik auf der wichtigsten und weitaus größten Raumfahrtmesse Europas, der Spacetech Expo in Bremen, 19. – 21. November 2024 an unserem Best-of-Space-Stand P25 im Zentrum des Auftritts der Raumfahrt-KMU Europas begrüßen zu dürfen.