Deutsche Raumfahrt: Wider den Blindflug zur ESA-Ministerratskonferenz 2025

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KMU-Katalog technischer Kernforderungen an politische Prioritäten

Im November ist es wieder soweit: Vertreter der Mitgliedstaaten der ESA und die Führungsriege der Agentur treffen sich zu Programm- und Budgetberatungen. In Fortsetzung der erfolgreichen Tradition werden die Experten der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR die deutsche Delegationsführung – in der Regel wahrgenommen durch den Koordinator Luft- und Raumfahrt – mit Rat und Tat in allen Diskussionspunkten unterstützen. Da ändert sich nichts – aber sonst ist doch einiges anders.

Zum einen wird der neue Koordinator erst wenige Monate vor der Konferenz wissen, was auf ihn zukommt. Sollte es sich bei diesem nicht um, wie das Handelsblatt formulierte, den einzigen Raumfahrtexperten des Bundestages, Thomas Jarzombek, handeln, wird sich der Auserwählte bei der Komplexität der Materie auf weite Strecken auf einen Blindflug begeben müssen, ohne alle Instrumente wirklich selber lesen zu können. Zum anderen ist nicht auszuschließen, dass die deutsche Delegation zum Zeitpunkt der Konferenz noch gar nicht oder erst seit wenigen Tagen oder Wochen überhaupt weiß, wieviel Geld sie in der nicht immer ganz fröhlichen Runde der 23 auf den Tisch legen kann. Da ist es dann doch von erheblichem Vorteil, wenn sie wenigstens weiß, wofür sie die Mittel bereitstellen sollte.

Da es mitunter sehr lange dauert, bis die entsprechenden Informationen in die politischen Spitzen hineindiffundiert und dann in Form von konsensgetragenen Entscheidungen gegossen sind, ist es sinnvoll, als Stakeholder so früh wie möglich seine Kernforderungen aufzustellen. Dies haben nun die deutschen Raumfahrt-KMU unternommen. Ihre Prioritäten sind klar definiert.

An erster Stelle stehen dabei die ESA-Technologieprogramme; sie sind essentiell für die Entwicklung von Technologien bei KMU und oft Türöffner für die Beteiligung an institutionellen Missionen (national, ESA, EU, zivil, militärisch) und den kommerziellen Markt, europäisch und weltweit. Sie sind gerade auch in frühen Phasen einer Innovation bzw. Geschäftsidee „Enabler“, weil sie vorlaufende Forschung und Entwicklung ermöglichen; derartige Aufgaben können insbesondere durch KMU nicht vollumfänglich aus Eigenmitteln umgesetzt werden. Die in der Vergangenheit durch diese Programme erreichte deutsche Führung ist ausbaufähig. Für KMU sind laut KMU-Orientierungspapier folgende Unterprogramme besonders wertvoll:

  • GSTP: erwartet wird ein hohes Niveau wie bei der MK2019, mit Fokus auf Produktentwicklung, In-Orbit-Verifikation, Einsatz von Komponenten auf Missionen, kleine operative Missionen unter Führung von KMU
  • ARTES: Steigerung insgesamt und des Anteils der ESA-initiierten Technologie- Aktivitäten auf Komponentenebene, sowie mehr Flexibilität zwischen industrie- und ESA- initiierten Aktivitäten
  • FLPP: die Technologieentwicklung auf Equipment/Subsystemlevel für Launcher und orbitale Transportsysteme wird mehr von KMU genutzt, eine noch stärkere Öffnung für KMU ist erstrebenswert
  • INCUBED: Komponenten und Instrumente für kleine Missionen mit Potential für kommerzielles Geschäft in der Erdbeobachtung, Zulieferungen seitens KMU betonen
  • NAVISP: wichtiges Technologieprogramm im Bereich von Navigation, insbesondere auf Geräte-/Komponenten-Level mit Potential für kommerzielles Geschäft
  • DPTD: als Teil des Pflichtprogramms weiterhin sehr wichtig.

Als weitere strategische Bereiche der ESA-Raumfahrtzukunft von großer Bedeutung sehen die KMU Erdbeobachtung, Kommunikation (wie z.B. die europäische Konstellation IRIS2), Wissenschaft, Space Safety (Maßnahmen gegen Gefährdungen aus dem Weltall wie z.B. Weltraumschrott, Solareruptionen oder Asteroiden), ferner unter anderem Exploration (weniger im Erdorbit und mehr im Mondorbit und auf der Mondoberfläche), Navigation, Raumtransport und spezifische Start-Up- und KMU-Hilfen wie etwa Scale-Up-Projekte zur Förderung von Serienfertigungsfähigkeiten. Insgesamt wird seitens KMU eine Erhöhung des ESA-Budgets mit Nachdruck empfohlen; einerseits um der aktuellen geopolitische Situation Rechnung zu tragen (Positionierung Deutschlands) und andererseits als Zugpferd, um ganz Europa zur Stärkung zu motivieren.

Der ausführliche KMU-Katalog technischer Kernforderungen an die politischen Prioritäten Deutschlands für die ESA-Ministerratstagung 2025 in Bremen ist in diesen Tagen unter anderem auch an die Spitzen und Gremien der deutschen Bundespolitik gegangen – und zwar denkbar breit gestreut in der Hoffnung, damit auf möglichst viele „Überlebende“ der anstehenden Wahl zu treffen.

Der Blindflug zur MK beginnt eben schon mit dem Blindflug nach Berlin.