Kommentierende Darstellung neuer Entwicklungen
Eurokratie mit neuem Kompass – Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit auf 360 Grad ausrichten
Einem neuen „Nordstern“, so hieß es jüngst aus Brüssel, soll fortan Europa folgen. Bei der Orientierung helfen wird ein neuer Kompass mit der Markierung „Competitiveness“ auf der Nadel, die nach Norden zeigt – was bei EU-Kompassen ein Novum ist. Das Prinzip: Streiche „green“, setze „competitive“, behalte „deal“. Der Hintergrund: Druckvoll einsetzende Erkenntnis, dass das alte Geschäftsmodell Europas nicht mehr funktioniert, demzufolge China Europas Produkte für billig Yuan zusammenschraubt, Amerika sie für teuer Euro kauft, Russland für wenig Rubel den Westen beheizt, die USA für null Dollar die Security stellen, und Europa so seine Energien auf weltweit wohl einzigartige wirtschaftspolitische Selbststrangulierungen, vornehm „Regulierungen“ umschrieben, mit Endeffekt Deindustrialisierung kaprizieren kann.
Das Motiv für von der Leyens Hau-Ruck-Aktion: Bewahrung der Eurokratie vor der Gefahr, bei der kommenden Kehrtwende komplett aus der Kurve zu fliegen – und zuzusehen, wie danach die Welt auch ohne sie kann. Die Gefahr ist durchaus real, denn das Tempo der Phalanx jener, die grundlegende Veränderungen fordern, hat rasant zugenommen: die Eurokratie ist seit Monaten in der misslichen Lage, den Entwicklungen politischer Prioritäten zugunsten einer deregulierten Wirtschaft hinterherlaufen zu müssen, um selbst noch eine Rolle im Wandlungsspiel zu behalten: Alle und alles kommod aus dem Brüsseler Elfenbeinturm dirigieren und züchtigen war gestern.
Zwar betont die EU, sie habe den Spagat zwischen Aufrechterhaltung der Zwangsmaßnahmen gegen Unternehmen im Rahmen umfangreicher Berichtspflichten sowie Extrasteuern und der Einführung wirtschafts- und wettbewerbspolitischer Prioritäten im Griff, deutet aber heute schon an, dass auf erste Lockerung der Zügel bald die Änderung des gesamten Ansatzes zur Anpassung an die neuen Realitäten stattfinden wird. Damit dürften – oder doch zumindest: könnten – die besonders für KMU schädlichen EU-Befehlslagen in Richtung Nachhaltigkeitsberichte und Sondersteuern bald einen festen Platz im sicher abgeschlossenen Gruselkabinett der Wirtschaftsgeschichte zugewiesen bekommen.
Die lautesten Forderungen, große Teile des bisherigen „Green Deal“ zu überarbeiten bzw. gleich ganz aufzuheben, kamen von der stärksten Front im EU-Parlament, der EVP. Sie legte jüngst ein Dokument vor, in dem die Kommission aufgefordert wird, die Finanz- und Berichtspflichten sowie die neuen CO2-Steuern der EU um mindestens zwei Jahre hinauszuzögern – oder eben gleich ganz zu streichen.
So klar wie noch nie wurden jetzt auch die Ziele für erneuerbare Energien abgelehnt, ein Punkt, von dem man bis dahin geglaubt hatte, er fuße auf breiten Konsens, und der möglicherweise auch nur deshalb so lange unangefochten geblieben war, weil alle geglaubt haben, Widerstand sei zwecklos. Die EVP besteht nun darauf, dass die Klimapolitik der EU „technologieneutral“ sein soll und bestimmte Technologien nicht anderen vorzuziehen seien, so also z. B. Wärmepumpen statt Öl- und Gaskessel oder erneuerbare Energien statt nukleare. Und erst recht dürfen nicht Technologien wie Verbrennungsmotoren in Autos verboten werden.
Nachdrückliche Unterstützung erfährt diese Druckwelle gegen die Grundfesten der bisherigen Mechaniken der Eurokratie in Person etwa vom polnischen Premierminister Donald Tusk, der die bisherige Green Deal-Politik für die hohen Energiepreise verantwortlich sieht und eine Rückabwicklung aller Rechtsakte einschließlich derer im Rahmen des Green Deals fordert sowie das Ende von CO2-Steuern für fossile Brennstoffe, sodass die ab 2027 geplanten eklatanten Zusatzbelastungen für Menschen, die dann immer noch auch im Winter in Häusern wohnen und solche, die sich ebenfalls immer noch mit Alternativen zum Fußmarsch wie Autos, Zügen, Schiffen oder Flugzeugen fortbewegen, erst gar nicht zum Zuge kommen.
Tusks Aussagen wurden vom tschechischen Ministerpräsidenten Petr Fiala begrüßt, während der rumänische Energieminister Sebastian Burduja ankündigte, er arbeite an einem „detaillierten Bericht über die negativen Auswirkungen der Green-Deal-Politik“ für Rumänien – und die Erdgasreserven und Kohlekraftwerke des Landes positiv hervorhob.
Gibt es doch noch eine Chance für die alten Verhältnisse? Selbst wenn EVP, Rumänien und Polen zusammen derzeit aus Sicht der Brüsseler Spitzen mit immer noch unterkritischer kinetischer Energie dagegenhalten sollten, so sind im Tunnelgewirr der politischen Begegnungen doch schon zusätzlich die Scheinwerfer der entgegenkommenden Big Boys aus Frankreich, Italien und den Niederlanden auszumachen. (Deutschland hatte eine Brieftaube geschickt, aber immerhin, siehe KTR „For a few Dollars more. Vier schreiben einen Brief“). Da braucht es ganz schnell einen Sündenbock für die Kehrtwende ohne bleibendes Wendehals-Syndrom, und der ist schnell gefunden:
Es war der alte Kompass, er wollte einfach nicht nach Norden zeigen.
Quellen u.a.:
https://pro.politico.eu/news/192822
https://www.epp.eu/files/uploads/2025/01/EPP-Retreat-Growth-and-Jobs-statement.pdf