Aufholjagd ohne Tempolimit – und Deutschland auf Pole
Die ESA ist seit fünf Jahrzehnten wesentlicher Grundstein eines gemeinsamen Europas – fest verankert, aber manchmal auch so kompliziert, dass sie sich selbst schon mal in den Katakomben der eigenen Regelwerke verirrt. Eine dieser Regeln besagt, dass bei den Zeichnungen von ESA-Programmen ein zusätzlicher Inflationsausgleich der Zeichnungssumme sozusagen „im Sinn“ hinzuzufügen ist. Dies führte dazu, dass auf die erste Addition aller Finanzzusagen am 1.12. eine weitere interne Buchhalterrunde zur Perfektionierung der Zahlen bis zum 2.12. stattfinden musste, bis nun endgültig klar war: Die ESA bekommt einen 3-Jahres-Rekordhaushalt von zweiundzwanzigtausenddreihundertundzwanzig Millionen Euro von ihren Mitgliedern, angeführt von Deutschland (23,05%), Frankreich (16,58%) und Italien (15,76%).
Signifikanten Anteil daran haben zwar Programme, die explizit ihren Dual-Use-Charakter in militärische Dienste stellen sollen; aber der Aufbruchsgeist, der dahintersteckt, beflügelt offenbar auch alle anderen, also die eher „konventionellen“ Bereiche.
Alle Zahlen, Daten und Fakten sind im sogenannten „Dokument 100“ zusammengefasst und für BoS-Mitglieder abrufbar hinterlegt (jens.janke@crn-management.de). Das Ganze ist so komplex, dass weder in diesem noch in irgendeinem anderen Artikel alle Detailinteressen bedient werden können. Stattdessen werfen wir hier ein Schlaglicht auf die deutschen Prioritäten, wie sie aus den Zeichnungen erkennbar sind.
Da wäre zunächst einmal der Explorationsbereich, versehen mit einem ESA-Preisschild von 3,773 Milliarden Euro. Davon trägt Deutschland 885 Millionen und damit nur vergleichsweise knapp mehr als der Zweitplazierte, Italien, mit 834,70 Millionen.
Ebenfalls führend präsentiert sich Deutschland mit einem Scheck über 926,46 Millionen Euro im Bereich Erdbeobachtung; allerdings sind in die Berechnung dieser Position schon aus vorhergegangenen Zeichnungen laufende Positionen eingeflossen, sodass nicht die Gesamtsumme hier auch insgesamt frisches Geld bedeutet.
Die Unterstützung Deutschlands im Bereich Navigation für deren Einzelprojekte summiert sich auf 343 Millionen Euro und belegt damit auch hier Platz 1.
Im Bereich „Connectivity and Secure Communications/Artes 4.0“ ist Deutschland insgesamt mit 593,11 Millionen Euro dabei, davon entfallen allein auf das quantenoptische Projekt „ScyLight“ gesamt 308,51 Millionen. Dafür überlässt Deutschland mit nur 143 Millionen bei Iris2 dem Hauptinteressenten Frankreich und auch Spanien weiträumig den Vortritt und, auch das ist ein Signal, unterschreibt kein über das Element 1 hinausgehendes Engagement dieses insgesamt um 226,03 Millionen Euro unterfinanzierten Projektes (Wunschvolumen: 1,196 Milliarden Euro).
Dafür steht D wieder in der ersten Reihe beim nächsten Thema, der Space Safety: 218,47 Millionen Euro ruft das BMFTR dafür auf; sein italienisches Pendant folgt dicht auf mit 217,20 Millionen, und das Vereinigte Königreich bringt alleine auch noch 151,20 Millionen Euro dafür auf. Alle anderen Zeichnungen bewegen sich im ein- bis zweistelligen Bereich. Im Falle Frankreichs, dessen Präsident noch vor kurzem mit Ankündigungen glänzte (KTR berichtete), sind die Ambitionen nun auf 30 Millionen zusammengeschmolzen.
Bei der Kommerzialisierungsförderung der ESA unterstützt Deutschland mit großem Abstand und in Summe 59,18 Millionen Euro. Alle anderen Zeichnungen liegen hier zwischen 0,07 und 11 Millionen Euro.
Beim Thema Dauerrenovierung und Nutzung der Ariane 6 lässt Deutschland unter Wahrung der eigenen, vornehmlich in Ottobrunn und Bremen beheimateten Interessen Frankreich den Vortritt, klinkt sich bei wiederverwendbaren Space Rider – Demonstrator ganz aus, dafür aber sehr effektvoll mit 290,78 Millionen beim Thema FLPP wieder ein.
Ebenso unübersehbar ist das Engagement bei der European Launcher Challenge mit 363,46 Millionen Euro aus deutschen Kassen. Mit rund 180 Millionen Euro werden die beiden Hoffnungsträger, RFA One und Spectrum, hier in etwa gleichermaßen bedacht.
Beim besonders für RF-KMU wichtigen Thema GSTP zeichnet Deutschland 40 Millionen für den Bereich Entwicklung, 50 Millionen für Produktion, 41 Millionen für Triple-E-Components, sowie zehn Millionen für Resilience and Security Components. Auch mit all diesen Beträgen markiert Deutschland jeweils die einsame Spitze des Zeichnungstableaus.
Fazit: Es sieht ganz so aus, als werde der neue deutsche Raumfahrt-Spagat gelingen: Auf der einen Seite eine entscheidende Rolle im gemeinsamen europäischen ESA-Programm, auf der anderen Seite genügend Energie für die Bearbeitung weit offener Betätigungsfelder durch nationale Akteure und Programme.