vom Gastautor Dr. Ingo Baumann, Partner BHO Legal
Die Europäische Kommission arbeitet zurzeit an einem Gesetzesvorschlag für ein EU-Weltraumgesetz (EU Space Law, EUSL). Nach aktuellen Informationen soll der Gesetzesvorschlag bereits Mitte April 2024 veröffentlicht werden.
Dieser Beitrag gibt einen Überblick darüber, wie es zu dem Gesetzesvorhaben kam, was bisher über das EUSL bekannt ist, und welche Auswirkungen es für die europäische Raumfahrtindustrie haben könnte.
Was bisher über den Regelungsinhalt bekannt ist
Das EUSL soll zu einer Verbesserung der Rechtssicherheit für Unternehmen beitragen, die mit der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der nationalen Rechtsvorschriften in den EU-Mitgliedstaaten verbundene Fragmentierung verringern, und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Weltraumindustrie verbessern.
Es sollen Vorschriften für ein kohärentes Vorgehen der EU in den folgenden drei Bereichen, auch Säulen genannt, geschaffen werden:
- Sicherheit („safety pillar“);
- Widerstandsfähigkeit („resilience pillar“);
- Nachhaltigkeit („sustainability pillar“).
Im Bereich der Betriebssicherheit (Safety) soll es um Themen wie die Vermeidung von Kollisionen im Orbit, die Reduktion und die Beseitigung von Weltraummüll und die Gewährleistung sicherer Re-Entries aus dem Weltraum gehen.
Bei der Widerstandsfähigkeit (Resilience, auch Security) geht es vorwiegend um die Cybersicherheit von Boden- und Raumsegmenten. Es geht aber auch darum, Weltraumobjekte und -systeme vor physischen Bedrohungen und Angriffen zu schützen.
Der Bereich Nachhaltigkeit enthält die Einführung von Lebenszyklusanalysen in der Raumfahrtindustrie, und die Einführung eines „Labels“, mit dem die Nachhaltigkeit und ggf. auch die Betriebssicherheit von Weltraumaktivitäten bewertet werden soll. Es soll keine Verpflichtung für Unternehmen geben, an dem Bewertungsverfahren für den Erhalt des Labels teilzunehmen. Geplant sind aber „Incentives“, wie etwa bei der Bewertung von Angeboten auf Ausschreibungen oder Förderaufrufe. Zu erwarten sind auch Maßnahmen und Vorgaben zur Vermeidung der Lichtverschmutzung des Nachthimmels und der Beeinträchtigung der Astronomie.
Das EUSL soll dabei auch für Betreiber aus Drittstaaten gelten, sofern diese Dienstleistungen in der EU anbieten. Diese Ausdehnung des Anwendungsbereiches wurde auch von der europäischen Industrie nachdrücklich gefordert.
Nach dem Gesetz sind weitere spätere Umsetzungsschritte geplant, in denen unter anderem spezielle Regelungen für In-Space Servicing, Assembly, and Manufacturing (ISAM) erarbeitet werden sollen.
Weitere Details zu möglichen Inhalten des EUSL sind momentan noch nicht bekannt, hier ist auf die Veröffentlichung durch die Kommission zu warten.
Festzustehen scheint, dass keine einheitliche EU-Genehmigung für kommerzielle Weltraumaktivitäten geschaffen werden soll. Die Mitgliedstaaten bleiben weiterhin in der Verantwortung für die Genehmigung und Überwachung von nationalen privaten Weltraumaktivitäten, wie es in Artikel 6 des Weltraumvertrags von 1967 vorgesehen ist. Die nationalen Weltraumgesetze werden allerdings hinsichtlich der drei Bereiche Sicherheit, Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit durch das EUSL modifiziert und angeglichen.
Auswirkungen auf die europäische Raumfahrtindustrie
Die Kommission plant das EUSL in Form einer Verordnung auf den Weg zu bringen. Verordnungen gelten ab Inkrafttreten in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es dazu einer Umsetzung in nationales Recht bedarf. Sie gelten unmittelbar und sind in allen ihren Teilen verbindlich (Art. 288 AEUV). Das hat zur Folge, dass Raumfahrtakteure in allen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar von dem EUSL betroffen sein werden.
Die zu erwartenden Regelungen in den drei Bereichen Sicherheit, Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit werden sich vorrangig auf Satellitenbetreiber und Startdienstleistungsunternehmen auswirken. National zuständige Behörden werden die europäischen Vorgaben bei der Prüfung und Erteilung von Genehmigungen unter nationalen Weltraumgesetzen umsetzen und beachten.
Die Regelungen des EUSL werden aber auch Auswirkungen auf Hersteller und die jeweiligen Lieferketten haben. Die neuen Anforderungen an Betriebssicherheit, Cybersicherheit und Nachhaltigkeit werden dazu führen, dass Satelliten komplexer und damit voraussichtlich auch teurer werden. Für Hersteller einfacher und günstiger Klein- und Kleinstsatelliten können die neuen Anforderungen daher zu Problemen führen.
Deutsche Akteure sollten beachten, dass die aktuellen Arbeiten an dem deutschen Weltraumgesetz voraussichtlich erheblich durch das EUSL beeinflusst werden.
Wie es zu dem Gesetzesvorhaben kam
Das Gesetzesvorhaben der EU-Kommission kam für manche überraschend, schließlich ist in Art. 189 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Zuständigkeit der EU für harmonisierende Gesetzgebung im Bereich der Weltraumindustrie ausdrücklich ausgeschlossen. Die Kommission begründet ihre Zuständigkeit aber auf die Kompetenzen zum gemeinsamen Binnenmarkt (Art. 114 AEUV), da durch die vielen unterschiedlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten eine Fragmentierung drohe und europäische Akteure dadurch weniger wettbewerbsfähig seien.
Dem Gesetzesvorschlag voraus geht eine ca. dreijährige Entwicklung, die vor allem in den Überlegungen und Arbeiten zum Weltraumverkehrsmanagement ihren Ursprung hat. In ihrer Rede zur Lage der Union am 13. September 2023 erläuterte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen die obersten Prioritäten und Leitinitiativen für das kommende Jahr. In der Absichtserklärung, die der Rede beigefügt wurde, wurde das EUSL für viele überraschend als eine der Hauptprioritäten für 2024 genannt.
Auch im Arbeitsprogramm der Kommission für 2024 heißt es, dass die Kommission 2024 ein europäisches Weltraumgesetz vorschlagen wird, das Regeln festlegt, zum Beispiel für das Weltraumverkehrsmanagement, aber auch dafür, wie die kritische Weltrauminfrastruktur sicherer gemacht werden kann.
Vom 28. September bis Ende November 2023 führte die Kommission eine gezielte Anhörung der Interessengruppen durch. Nach Angaben der Kommission gingen mehr als 300 Rückmeldungen ein. Einige Vertreter merkten dazu an, dass die Fragen so formuliert waren, dass sie nur (mehr oder weniger) unterstützende Antworten geben konnten. Neben den Eingaben zur Konsultation haben mehrere Interessenverbände und weitere Stakeholder auch Positionspapiere zum EUSL veröffentlicht. Während die Positionspapiere insgesamt überraschend positiv ausfallen, wurden Bedenken vor allem im Hinblick auf mit dem EUSL verbundene Aufwände und Kosten für Unternehmen, vor allem für Start-Ups vorgebracht. Besonders hervorgehoben wurde, dass das EUSL die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie gegenüber ausländischen Konkurrenten nicht beeinträchtigen dürfe.