Im Originaltext: Das „Drei-Länder-Papier zur ESA-Ministerratskonferenz 2025“

Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin / 06112023,DEU,Deutschland,Berlin

Die drei Länder Baden-Württemberg, Bayern und Bremen versammeln einen Großteil der deutschen Raumfahrtkompetenz und -industrie, die von den Entscheidungen im Rahmen der ESA-Ministerratskonferenz (ESA-MK) direkt betroffen sind. Daher möchten wir Empfehlungen aussprechen mit dem Ziel, die mit der Raumfahrt verbundene Wirtschaftskraft sowie Schlüsselkompetenzen in Deutschland zu stärken. Die Raumfahrt ist mit ihren Verbindungen zu zahlreichen Hochtechnologiebereichen integraler Bestandteil des Transformationsprozesses der deutschen Industrie und Wirtschaft. Somit sind Investitionen in die Raumfahrt auch unmittelbar Investitionen in Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts- und Technologiestandortes Deutschland.

Handlungsfelder und programmatische Empfehlungen für die ESA-MK 2025

Die programmatischen Empfehlungen stellen zum jetzigen Zeitpunkt wichtige Schwerpunkte dar. Es gilt im Kern, die in den letzten Jahrzehnten durch Investitionen der öffentlichen Hand entwickelten Kompetenzen und Fähigkeiten zu stärken und neue strategische Schwerpunkte zu bilden.

Programmlinie Erdbeobachtung

Das Erdbeobachtungsprogramm stellt im engen Verbund mit europäischen Institutionen (EU-Kommission, EUMETSAT und ECMWF) nachhaltige und weltweit unerreichte Beobachtungs-kapazitäten für Umwelt und Klima sicher. Die optischen und radarbasierten Fähigkeiten sind Grundlage für adäquate Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und Anpassung an dessen Folgen sowie zur Verbesserung des Katastrophenschutzes und unserer Sicherheit und Resilienz. Wir fordern ein weiteres deutliches Engagement in den bereits bestehenden und erfolgreichen Programmen Copernicus, FutureEO und Earth Watch.

  • Copernicus: Optische Mission für verbesserte Umweltüberwachung und Gewährleistung von globaler Nahrungsmittelsicherheit (Sentinel 2 NG).
  • Future EO:
    • Erfassung des globalen Wasserhaushalts inklusive Grundwasser.
    • Untersuchung der Auswirkung des Klimawandels über die Veränderung des Erdschwerefeldes (Next Generation Gravity Mission – NGGM).
    • Stärkung der Laser-Kompetenzen mittels Laser-Demonstrator ALTA.
    • KI-Forschung für Anwendungsentwicklung, OnBoard-Prozessierung, Daten- und Flotten-Management.
    • Aeolus-2: Lidar-Mission zur Messung von Windgeschwindigkeiten in Wolken für eine erhebliche Verbesserung der numerischen Wettervorhersage und von Klimamodellen.
  • Earth Watch
    • Digital Twins / Digital Twin Earth als wichtiger Zukunftsmarkt.
    • Kommerzialisierungsprogramme wie InCubed.
    • Erhalt der deutschen Führungsrolle bei Radar / SAR.
    • Weitere Unterstützung der Kommerzialisierung sowie Stärkung von Scale-up-Programmen.

Programmlinie Telekommunikation

Die Telekommunikation, die derzeit durch die Kommerzialisierung im privaten Sektor einen disruptiven Wandel durchläuft, war über die letzten Dekaden eine besondere Stärke der europäischen Raumfahrt insbesondere im geostationären Bereich. In diesem sich neu formenden Markt liegen sowohl Herausforderungen als auch große Chancen, die es zu nutzen gilt, um in einer zunehmend vernetzten Welt eine sichere und unabhängige Kommunikation für zivile, staatliche und militärische Akteure zu gewährleisten.

Der Aufbau von Systemkompetenzen und das Schließen der Technologielücke zur autarken

Systemfähigkeit bei Satelliten bieten uns die Chance, Markt- und Technologieführer in Europa zu werden und Europas Unabhängigkeit zu sichern. In den kommenden Jahren wollen wir eine aktive Rolle bei der Weiterentwicklung innovativer Technologien einnehmen, darunter verteilte dezentrale Systeme, die verstärkte Kombination terrestrischer und nicht-terrestrischer Elemente, Laser- und Quantenkommunikation sowie digitale Nutzlasten.

  • ARTES-Technologieprogramme

Ausbau der strategischen ARTES-Programmlinien 5G/6G, C&G (Competitiveness & Growth),

ScyLight, HydRON, Safety and Security – u. a. für eine Partizipation in SAGA-Mission, Future Preparation/Advanced Technology, BASS und Partnership Projects.

Technologische Schwerpunkte: Direct-to-Device(D2D)-Entwicklungen.

Breitbandige und robuste Vernetzung: Laserkommunikation und optische Inter-satellitenverbindungen sowie Quantum Key Distribution (auch für Programmlinie

Navigation in FutureNAV und NAVISP wichtig).

Phased-Array-Antennen.

Secure-Communication-Lösungen wie TRANSEC.

Digitale Nutzlasten (Signalverarbeitung/ Prozessoren und Switches).

Sichere Konnektivitätsinfrastruktur: Ambitionierter Aufbau und Sicherstellung von Systemfähigkeit unterstützt durch schnelle Entwicklungen, Prototypen-Demonstratoren und In-Orbit-Qualifizierung von Elementen (z. B. Signalprozessoren, Software, Antennen).

Für die Zukunftsfähigkeit weltraumbasierter Telekommunikation sind auch die GSTP-Programme wichtig.

Programmlinie Navigation

Satellitennavigation und darauf aufbauende Anwendungen sind von zentraler Bedeutung für die europäische Raumfahrtinfrastruktur und die europäische Eigenständigkeit. Technologien, welche die Resilienz zukünftiger PNT-Systeme (Positionierung, Navigation and Timing) und deren Anwendungen erhöhen, gewinnen zunehmend an Bedeutung. Dies betrifft schwerpunktmäßig optische Technologien und Quantentechnologien, Methoden der Cybersecurity und Empfängertechnologien. Deutschland hat sich innerhalb Europas eine Führungsrolle und Technologiekompetenz erarbeitet, die es zu erhalten und weiter auszubauen gilt, um auch weiterhin wichtige Impulse setzen zu können. Angesichts der geringen deutschen Zeichnung bei der ESA-MK 2022 besteht dringender Aufholbedarf und ein deutliche Steigerung der Zeichnung ist essenziell, um eine starke Position für die nächste Generation von Galileo zu sichern.

  • NAVISP (inklusive Phase 4)
  • FutureNav

LEO-PNT: Verbesserung und Resilienzsteigerung der Navigationssysteme im Sinne einer Multi-Layer-Konstellation und Ergänzung durch terrestrische Funknetze (5G/6G).

GENESIS zur Schaffung der Grundlage (Referenzrahmen) für präzise Signale.

Demonstratoren, wie z. B. die OpSTAR-Mission (optische Intersatellitenverbindungen für eine robuste Zeitsynchronisation und Entfernungsmessung).

Atom- und Quantenuhren: Optische Uhrenalternative für zukünftige Galileo-Satelliten und Quantenuhren für die resiliente Operation kritischer nationaler Infrastrukturen sowie für den Aufbau einer eigenständigen europäischen Produktion.

Eine entsprechende Zeichnung in der Kommunikationsprogrammlinie ARTES (zunehmende Vernetzung von Navigation und Kommunikation) und in den GSTP-Programmen ist hier wichtig.

Programmlinie Trägersysteme / unabhängiger Zugang zum All

Ein unabhängiger Zugang zum All ist eine fundamentale Voraussetzung für die langfristige

technologische Unabhängigkeit und geopolitische Souveränität Europas – auch weit über die Raumfahrt hinaus. Europa muss die Stärken der verschiedenen Akteure im Zusammenspiel optimal nutzen, um sich einen Zugang zu allen Orbits zu sichern und unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden.

Zur Stärkung der europäischen Trägerraketen im globalen Wettbewerb begrüßen wir eine konsequente Umsetzung der Sevilla-Beschlüsse, eine substanzielle deutsche Beteiligung und unmittelbare, tiefgreifende Reformen im Ariane-System. Neben der Förderung von Zukunftstechnologien sollte auch eine Trägerpolitik mit europäischer Präferenz etabliert werden.

  • Ariane-Programme

Unterstützung bei der Überführung in eine Serienfertigung bei signifikanter Absenkung der Betriebskosten.

Gezielte technische Weiterentwicklung der Ariane 6 innerhalb der Ariane- und FLPP-Programme, insb. Oberstufe, Antriebe/Motoren, Kick Stage, Reusable Liquid Booster, Effizienzsteigerung/

Kostensenkung, Weiterentwicklung für Konstellationen.

  • FLPP

Erhaltung der Führungsrolle Deutschlands bei der Triebwerksentwicklung und Antriebs-technologie: Entwicklung einer neuen Generation von Triebwerken (PROMETHEUS),

nachhaltiger „grüner“ Antriebe (elektrische und wasserbasierte Antriebe) sowie Antriebe für nlogistische Raumfahrzeuge im erdnahen und -fernen Bereich.

Investitionen in die Wiederverwendbarkeit (insb. PROMETHEUS und THEMIS).

Elemente für die kommerzielle Raumfahrt (u. a. Industrialisierung, Digitalisierung, Operations-Concept).

Demonstratoren und Technologien für zukünftige Trägersysteme (Phoebus / Schwarze Oberstufe, Edelstahl, Additive Manufacturing).

Studien und neue Technologien für Space-Logistik (u. a. In-Orbit-Fuel-Depots).

  • Boost!

Unterstützung der deutschen Mikrolauncher bei der European Launcher Challenge.

Fortlaufender Einsatz Deutschlands für die schnelle Etablierung eines kommerziellen Start-Services mit tragfähigem Ankerkundenprinzip, eine gute Positionierung deutscher Akteure und faire Wettbewerbsbedingungen in Europa.

  • LEAP:

Fortführung des Betriebs des Raketentestzentrums Lampoldshausen.

Programmlinie Exploration

Explorationsvorhaben sind von entscheidender Bedeutung für die internationale Zusammenarbeit sowie für High-Tech-Beiträge der deutschen Industrie und Forschungsinstitute. Sie schaffen aber auch wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse, verifizieren Technologiedemonstrationen, stimulieren die Nachfrage und bieten dadurch Potenziale für die Kommerzialisierung. Auch die deutsche Non-Space-Industrie profitiert von Fertigungs- und Experimentiermöglichkeiten im All. Deutschland und Europa müssen deshalb ambitioniert in strategische Infrastruktur für künftige Weltraumaktivitäten investieren.

  • Leuchtturmprojekte / Demonstratoren (MSR, Artemis / ESM Batch B und Rosalind Franklin, inFortsetzung von Exomars).

Einrichtung einer vorlaufenden Technologiephase zur Erhöhung des Reifegrads für Mond- (Artemis ESM) und Mars-Missionen (ESA MSR ERO).

Signifikante Beteiligung an bisher geplanten Mondprojekten: Lunar-Gateway (HECC, ESPRIT, Lunar I-Hab), Infrastruktur auf dem Mond (Argonaut), proaktive Entwicklung neuer Technologien(Rover).

Sicherstellung des laufenden Betriebs und der wissenschaftlichen Nutzung der ISS bis 2030.

Starke Positionierung für die Themen Post-ISS (u. a. Starlab, LEO Cargo Return, Raumkapseln, astronautische Raumfahrt, Forschung und Produktion unter μ-Gravitation) und interplanetare Exploration.

Positionierung im Zukunftsmarkt In-Space-Logistik.

Im Falle eines Stopps von Artemis bzw. Lunar-Gateway: Entwicklung von Szenarien und Bereitstellung von Infrastruktur wie z. B. Mondkontrollzentrum für souveräne europäische Explorationsmissionen.

Programmlinie Technologie

Die Raumfahrt fordert tragfähige Innovationen in immer kürzeren Intervallen und auf einer wachsenden Zahl von Technologiefeldern. Das GSTP stellt – neben ARTES – den Innovationsmotor für Schlüsseltechnologien der europäischen Raumfahrt dar und ist Grundlage für technologische Weiterentwicklungen in diversen Programmlinien. Das starke deutsche Industrie- und Wissenschafts-Netzwerk ermöglicht es sowohl Großunternehmen als auch Start-ups und KMU, wertvolle Beiträge zu leisten, die die deutsche Teilhabe an zukünftigen Programmen (ESA und EU) sichern. Wir begrüßen eine starke Zeichnung mit angemessener Zuordnung zu den Elementen Develop / Make / Fly und EEE sowie strukturelle Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Ziel sind eine signifikante

Verkürzung der Markteinführungszeiten und die Stimulierung von Industrialisierung und Serienproduktion.

  • Technologische Schwerpunkte

Automatisierung und KI-Anwendungen u. a. KI-fähige Satellitenplattformen, On-Board-Processing, Software-Defined Satellite, autonome Operationen, Signalverarbeitung, Daten- und Flottenmanagement.

Werkstoffe/ Materialien, insb. Keramiken, Hitzeschild, CFK-Fertigungsfähigkeiten, neue Legierungen für 3D-Druck, Beschichtungen/ Oberflächenbehandlungen.

Wiederverwendbare und nachhaltige Antriebstechnologie.

Instrument-Technologien u. a. optische Sensoren, Quanten-Sensorik, Antennen.

Laserkommunikation und Verschlüsselungstechnologien (insb. Quantum Key Distribution).

Robotik für In-Orbit-Servicing und Landesysteme.

Produktionskompetenzen/-kapazitäten.

Programmlinie Space Safety

Die verstärkte sicherheitsbezogene Dimension der Raumfahrt, das „Neu-Denken“ des Weltraums als Wirtschaftsraum und sein Erhalt für zukünftige Generationen stellen aktuelle, essenzielle Herausforderungen dar. Wir benötigen sichere Rahmenbedingungen, etwa durch die Steuerung des Space Traffic und die Um- und Durchsetzung der Zero-Debris-Charta. In diesem Bereich sehen wir ein großes Potenzial für deutsche KMU.

  • Schlüsseltechnologien für In-Orbit Servicing / Manufacturing und Entfernung von Weltraumschrott (u. a. Roboterarm, Sensorik, Lidar- und Radar-Systeme, Anflugtechnologie und In-Space-Logistik), insbesondere im Rahmen der RISE-Mission.
  • Weltraumlage-Kompetenzen (VISDOM, COSMIC).
  • Durchführungskompetenzen von Missionen und modernen Betriebskonzepten (Manöver: Anflug,Andocken, Ausweichen; Instandhaltung von Satelliten).
  • Instrumentelle Fähigkeiten zur Beobachtung von Weltraumwetter (VIGIL).
  • Satellitengestützte Detektion von neuen Asteroiden (NEOMIR, RAMSES).

Programmlinie Kommerzialisierung

Wir begrüßen ausdrücklich den aktuellen Ansatz, die Kommerzialisierung in den verschiedenen Programmlinien wie Erdbeobachtung, Raumtransport und Satellitenkommunikation zu integrieren. Die ESA hat in den letzten Jahren ein beeindruckendes Unterstützungsportfolio insbesondere für Start-ups (ESA BICs, Scale-up- und Accelerator-Programm sowie Phi-Labs) geschaffen, das weiterhin gefördert werden sollte. Auch das Potenzial der zahlreichen klein- und mittelständischen Unternehmen als Innovationsquelle sollte durch eine möglichst mittelstandsfreundliche Programmteilhabe genutzt werden.

KMU und Start-ups benötigen einen fairen Zugang zu Scale-up-Initiativen, um ihr Potenzial in diesem wachsenden und sich sehr schnell wandelnden Weltmarkt voll auszuschöpfen. Die Etablierung des Ankerkunden-Prinzips ist von enormer Bedeutung, da institutionelle Kunden als Qualitätssiegel und Vertrauensverstärker die Akquise kommerzieller und ausländischer Kunden erheblich erleichtern. Die Marketplace-Initiative der ESA und ähnliche Maßnahmen sind ein zukunftsweisender Schritt.

Programmlinie Wissenschaft / Science

ESA-Wissenschaftsmissionen liefern bahnbrechende Erkenntnisse und ermöglichen es deutschen Forschungseinrichtungen und Industrie, eine führende Rolle in Spitzenforschung und Zukunftstechnologien einzunehmen. Die komplexen Missionsanforderungen erfordern die Entwicklung innovativer Technologien, die nicht nur Deutschlands Ingenieursfähigkeiten stärken, sondern auch für zukünftige Erdbeobachtungs-, Navigations- und Telekommunikationsmissionen genutzt werden können.

Daher sollte Deutschland eine jährliche Erhöhung des Wissenschaftsbudgets unbedingt unterstützen, um damit auch die Chancen für hochwertige Rollen Deutschlands beispielsweise im Programm New-Athena für die deutsche Industrie zu wahren.

Verteidigungsfähigkeit und Souveränität

In einer zunehmend komplexen geopolitischen Landschaft werden Verteidigungsfähigkeit und Souveränität im All immer sichtbarer. Europa muss sich hier adäquat aufstellen und Fähigkeitslücken rapide schließen. Dies umfasst unter anderem die Aufklärungsfähigkeiten (optisch, SAR, elektronisch, Infrarot) mit den entsprechend nötigen Überflugraten, um staatliche Akteure für Entscheidungen in Krisensituationen die notwendigen Informationen über Geschehnisse am Boden, zu See, in der Luft und im Weltraum zur Verfügung zu stellen.

Die Resilienz und der Schutz der Raumfahrtinfrastruktur (Boden, Datenlink, All) sowie Responsive-Space-Fähigkeiten müssen gesteigert und Dual-Use-Potenziale frühzeitig berücksichtigt werden. Um Innovationen zu ermöglichen, industrielle Fähigkeiten aufzubauen und eine schnelle Befähigung der staatlichen Akteure und Streitkräfte in Europa sicherzustellen, müssen europäische Bestrebungen in diesem Bereich von deutscher Seite gestärkt und Unternehmen für die Umsetzung von  sicherheitskritischen Projekten befähigt werden.