Mit KTR sprach Dr. Rainer Kraft, Wahlkreis Augsburg Land
Das nachfolgende Interview entstand im Rahmen der KTR-Aktion zur Erfassung des Meinungsbildes und des Engagements der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Sachen Raumfahrt. Die Ergebnisse der Aktion aus allen betroffenen 95 „Raumfahrt“-Wahlkreisen insgesamt – hier in KTR online ab 19. November 2024 – können je nach Empfindlichkeit ernüchtern oder auch erschüttern. Umso erfreulicher nahmen sich die Erfahrungen mit einer kleinen Gruppe Abgeordneter aus, die über ihre Teilnahme am Meinungsbild hinaus auch bereit waren, sich im Rahmen eines Interviews noch einmal dezidiert wie detailliert zur aktuellen Raumfahrtpolitik zu äußern. Für das folgende Gespräch dankt die Redaktion von KTR sehr herzlich Herrn Dr. Rainer Kraft, MdB des Wahlkreises München-Land.
Herr Dr. Kraft, mit welchen Stichworten sehen Sie sich am besten in der Kurzfassung vorgestellt?
Seit 2017 trete ich im Deutschen Bundestag für eine Politik der Vernunft ein. Unser Wohlstand, unsere Freiheit und die Zukunft unserer Kinder sind dabei mein Antrieb. Ich bin 1974 in München geboren und habe mein Studium der Chemie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und meine Promotion an der Westfälischen-Wilhelms-Universität erfolgreich abgeschlossen. Ich bin verheiratet und habe 2 Töchter. Vor meiner Zeit im Bundestag war ich bei einem mitteleständischen Unternehmen im Chemie- und Anlagenbau angestellt. Dort habe ich als Projektmanager, Process Unit Manager und Head of Deposition in der Planung von Fabriken zur Herstellung von Reinstsilizium gearbeitet.
Welche Positionen und Prioritäten befeuern Ihr Engagement für Unternehmen, Institutionen und insbesondere KMU der Raumfahrt in Ihrem Wahlkreis?
Luft- und Raumfahrt hat in meinem Wahlkreis und der ganzen Region eine tief verwurzelte Tradition. Bereits im 19. Jahrhundert wurden hier die Grundlagen für die Fliegerei gelegt, beispielsweise mit der Ballonfabrik Augsburg. Forscherdrang und Unternehmergeist machten in den folgenden Jahrzehnten Augsburg als „Stadt der Luftfahrer“ bekannt. August Riedingers Ballone wurden ebenso Exportschlager wie die Parseval-Luftschiffe. Schon 1908 wurde mit Helikoptern experimentiert, 1916 begannen die Rumpler-Werke in Ihrem Augsburger Tochterunternehmen mit dem Flugzeugbau. Von Augsburg aus gelang Auguste Piccard anno 1931 der erste Aufstieg in die Stratosphäre. 1927 wurden die Grundlagen für die spätere Messerschmitt AG gelegt, wo man ab 1939 das erste Strahlflugzeug der Welt entwickelte. Heute sind die Rocket Factory Augsburg, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und Premium Aerotec prägend. Und auch die nähere Umgebung wie Donauwörth mit Airbus Helicopters, Ulm mit Hensoldt, MBDA Deutschland aus Schrobenhausen oder Diehl Aviation in Laupheim sind Zentren unserer technologischen Hochkultur. Das sind rund 30.000 Arbeitsplätze, Zulieferer nicht mitgerechnet. Schon allein deswegen hat das Thema für mich absolute Priorität und die Parlamentsgruppe Luft- und Raumfahrt in mir ein engagiertes Mitglied. Dazu kommt noch ein großes persönliches Interesse, ich glaube, kein Naturwissenschaftler kann sich der Faszination Luft- und Raumfahrt entziehen.
Einen wesentlichen Eckpfeiler der Entwicklung technologischer Fähigkeiten Deutschlands in der Raumfahrt setzt das Nationale Raumfahrtprogramm. Allerdings ist dies nominell exakt noch auf dem gleichen Stand wie vor einem Vierteljahrhundert quasi eingefroren. Frankreich dagegen investiert allein über diesen Titel in Technologieentwicklung und -ertüchtigung der eigenen Raumfahrtindustrie sowohl für internationale Projekte wie auch für kommerzielle Märkte im Wert von 700 Millionen EUR. Wie soll Deutschland am besten darauf reagieren?
Zum einen ist es mittlerweile offensichtlich, dass regierungseigene Strategiepapiere und Programme vor allem den Public Relations und dem Wahlkampf dienen. Solange dieser Mangel nicht abgeschafft wird, sehe ich wenig Hoffnung auf substanzielle Verbesserungen.
Bereits in der letzten Legislaturperiode gab es ja angeblich deutsche Bestrebungen, einen eigenen Weltraumbahnhof zu realisieren. Zumindest kündigte Peter Altmaier, damals Bundesminister für Wirtschaft und Energie, an, dass ein deutscher Weltraumbahnhof in der Zukunft realisiert werden könnte, indem er laut Presseberichten sagte: er „werde … den Vorschlag des BDI für einen Weltraumbahnhof gerne prüfen.“ Außerdem wolle er schon 2020 den Entwurf eines Weltraumgesetzes vorstellen.“ Davon sind wir heute leider weit entfernt.
Das Problem liegt zum einen in der völligen Unkenntnis der politischen Protagonisten, die nicht nur die technische Seite betrifft, sondern auch die Funktionen der Marktwirtschaft geflissentlich ignoriert und zum anderen in der irrationalen Angst, einen Führungsanspruch in Europa und der Welt zu formulieren und auch zu untermauern.
Die meisten Kooperationsmodelle sind gescheitert, global spricht man ja von „stupid German money“, das heißt, wir zahlen für Forschung und Infrastruktur die andernorts Arbeitsplätze und Möglichkeiten schafft. Während die Bundesregierung Indien binnen zehn Jahren etwa 10 Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit bereitstellt und damit praktisch das ambitionierte Raumfahrtprogramm Indiens im Wesentlichen finanziert, ohne sich daran einen Anteil zu sichern, fordert die AfD-Fraktion im Antrag (20/6074) Rechtssicherheit für private Unternehmen bei der Erschließung neuer Geschäftsfelder in der Raumfahrt. Wir wollen deutsches Geld in Deutschland nachhaltig verwenden, anstatt es im Ausland zu verschwenden. Dann muss man auch nicht mehr reagieren auf die Programme und Initiativen anderer. Wir müssen aber auch dringend aufhören so zu tun, als wäre Luft- und Raumfahrt eine Sinekure für die Forschung und Entwicklung. Der Anspruch muss immer die kommerzielle Nutzbarkeit sein.
Im kommenden Jahr findet die Ministerratskonferenz der ESA in Bremen statt. Es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten vorauszusehen, dass die Berichterstattung in der Breite besonders von massentauglichen Faszinosa wie etwa der astronautischen Besiedlung des Mondes geprägt sein wird. Raumfahrt-KMU sind darauf angewiesen, dass sie einerseits von vornherein in Projekte aller Größenordnungen eingebunden werden, andererseits aber noch genügend Mittel im Rahmen allgemeiner Technologieförderung (Stichwort „GSTP“) für die nächsten Jahre bereitgestellt werden. Welche Wege in Berlin empfehlen Sie den KMU für die Umsetzung beider Ziele, und was können Sie für die Unternehmen Ihres Wahlkreises dahingehend tun?
Die Teilnahme am General Support Technology Programme ist ja fakultativ, ich halte wenig davon Forschung und Entwicklung politisch zu steuern, jeder Euro, der in Lobbyarbeit fließt, ist vergeudet.
„Resilienz“ und „dual use“ sind bei Technologiedebatten mittlerweile häufige Stichworte. Wie kann – und soll überhaupt? – die Politik dafür sorgen, dass KMU in ihrer Eigenschaft als Innovateure auf Augenhöhe mit den Branchenriesen auch bei militärischen Themen eingebunden werden?
Ich bin überzeugt, dass die Großen der Branche sehr genau wissen, welches Know How in unseren Hidden Champions steckt. Die Aufgabe der Politik sehe ich hier vor allem in der Schaffung einer Sicherheitsarchitektur, die Daten und auch Fachkräfte effizient vor dem Zugriff fremder Interessen schützt und dem Abbau von Hindernissen gerade auch im universitären Bereich. Die Zivilklausel ist völlig aus der Zeit gefallen, Deutschland und Europa kann sich eine naive Ostermarschmentalität schlicht nicht leisten. Dazu bedarf es zunächst einer Reform des völlig bürokratischen militärischen Beschaffungswesens und einer Ausrichtung angewandter Forschung am Bedarf der des Kunden, in diesem Fall der Bundeswehr. Es ist völlig naiv anzunehmen, dass ein wesentlicher Teil unserer Sicherheit nicht mit den deutschen Fähigkeiten im Weltraum verknüpft ist. Deutschland verfügt inzwischen über ein Weltraumlagezentrum der Bundeswehr, aber das Beschaffungswesen trägt m.E. dem aktuellen Bedarf der Kameraden der Bundeswehr insgesamt nur in geringem Maße Rechnung. Hier muss ein Schulterschluss mit dem Einfallsreichtum unserer KMU her.
Speziell auf EU-Ebene, aber auch bei der ESA, erzeugt vor allem ein Phänomen bei den KMU der Raumfahrt Reaktionen zwischen Resignation und blankem Entsetzen: die Bürokratie. Besonders das als ausufernd empfundene Berichtswesen schafft hier nicht nur Unmut, sondern durch den Personalaufwand handfeste Kostenbelastungen, übrigens auch dadurch, dass auftraggebende Großunternehmen ihre eigene Bürokratie-Belastung auf die Zulieferer abwälzen. Dazu kommt die unangenehme Gewissheit, dass für die „Ganztagsbetreuung“ des Themas bei der EU wieder neue Planstellen mit Steuergeldern finanziert werden. Wie lässt sich dieser Automatismus effektiv unterbrechen?
Nun, Sie sprechen mit jemand dessen Partei 2013 primär zu dem Zweck gegründet wurde dies zu beenden. Die byzantinischen Strukturen einer außer Rand und Band geratenen Bürokratie lassen sich nicht von heute auf morgen eindämmen. Wenn die EU -Bürokratie nicht zu einem gesunden Selbsterhaltungstrieb zurückfindet, wird die Union entweder durch Wahlen in den Nationalstaaten ein Ende finden und bestenfalls auf das Niveau der EWG zurechtgestutzt werden oder Europa wird zum Schaden aller wirtschaftlich und politisch immer irrelevanter werden. Wir fordern in einem ersten Schritt die Verringerung des finanziellen Engagements Deutschlands im Ausland zugunsten nationaler Programme und schlagen damit mehrere Fliegen mit einer Klappe. Das Geld bleibt in Deutschland, fördert deutsches Know-how und unsere deutschen Unternehmen, sichert unsere deutschen Arbeitsplätze und unseren Wohlstand auch in Bayern und wird nicht von EU-Bürokraten verschwendet.
In Deutschland übrigens ein ähnliches Phänomen: Noch ist nicht einmal ein Referentenentwurf zum Thema „nationales Weltraumgesetz“ geschrieben, da wird schon festgelegt, dass für das Thema eine eigene Behörde geschaffen werden muss. Kann man beim Thema „Bürokratie“ mittlerweile schon von einem nur noch sehr schwer zu durchbrechenden Pawlowschen Reflex der Politik ausgehen – braucht es dafür also vielleicht schon so etwas wie politische Psychotherapie?
Es geht in der Politik auch immer um Macht und Einfluss, wie wäre der besser zu sichern als durch die Schaffung neuer Planstellen für Unterstützer und Klienten. Diese Systematik finden Sie mittlerweile in allen Bereichen. Es ist ein riesiger Saustall und hat mit Rechtsstaatlichkeit und legitimen Verwaltungshandeln nichts mehr zu tun. Das beste Wort für die Schaffung überflüssiger Verwaltungsstellen ist Korruption und so gut wie jeder Bereich der Bundesrepublik ist mittlerweile davon befallen. Bereits seit der ersten AfD-Fraktion in der 19. Legislaturperiode des DBT fordern wir wieder und wieder, die Bundesregierung solle deshalb einen Raumfahrtgesetzentwurf vorlegen, vergleichbar mit dem Satellitendatensicherheitsgesetz des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, der die Rahmenbedingungen für deutsche Raumfahrtinitiativen klar definiert. Im Raumfahrtgesetz soll nach unseren Vorstellungen unter anderem geregelt werden, wie Genehmigungsverfahren für nationale kommerzielle Raumfahrtaktivitäten sowie ein Registrierungsverfahren für Weltraumobjekte nach den Vorschriften der Weltraumverträge geregelt und Haftungsfragen und Versicherungspflichten geklärt werden. Weiterhin gilt es, „den leistungs- und traditionsstarken deutschen Raumfahrt- als auch Wirtschaftsstandort gegenüber anderen Raumfahrtnationen zu behaupten“ und den deutschen Hoch- und Spitzentechnologieunternehmen Zukunftssicherheit zu bieten. Dafür wäre dann keine eigene Behörde notwendig, und die Rechtssicherheit wäre trotzdem gegeben.
Wir danken Ihnen herzlich und würden uns sehr freuen, Sie auf der wichtigsten und weitaus größten Raumfahrtmesse Europas, der Spacetech Expo in Bremen, 19. – 21. November 2024 an unserem Best-of-Space-Stand P25 im Zentrum des Auftritts der Raumfahrt-KMU Europas begrüßen zu dürfen.
Vielen Dank, ich komme gerne.
Weitere Interviews aus der Serie „Raumfahrtkompetenz im Deutschen Bundestag“:
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