Mit KTR sprach Dr. Michael Meister, Wahlkreis Bergstraße (Hessen)
Das nachfolgende Interview entstand im Rahmen der KTR-Aktion zur Erfassung des Meinungsbildes und des Engagements der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Sachen Raumfahrt-KMU. Die Ergebnisse der Aktion aus allen betroffenen 95 „Raumfahrt“-Wahlkreisen insgesamt – hier in KTR online ab 19. November 2024 – können je nach Empfindlichkeit ernüchtern oder auch erschüttern. Umso erfreulicher nahmen sich die Erfahrungen mit einer kleinen Gruppe Abgeordneter aus, die über ihre Teilnahme am Meinungsbild hinaus auch bereit waren, sich im Rahmen eines Interviews noch einmal dezidiert wie kompetent zur aktuellen Raumfahrtpolitik zu äußern. Für das folgende Gespräch dankt die Redaktion von KTR sehr herzlich Herrn Dr. Michael Meister, MdB des Wahlkreises Bergstraße (Hessen).
Herr Dr. Meister, mit welchen Stichworten sehen Sie sich am besten in der Kurzfassung vorgestellt?
Ich wurde im Juni 1961 geboren und lebe mit meiner Familie im schönen Landkreis Bergstraße, der zwischen den beiden Metropolregionen Frankfurt/Rhein-Main und Rhein-Neckar liegt. Ich bin promovierter Mathematiker und war nach meiner Studienzeit fünf Jahre lang als Flugdynamik-Experte am Operationszentrum der Europäischen Weltraumorganisation (ESA/ESOC) in Darmstadt tätig. Dort war ich verantwortlich für die Bestimmung der Umlaufbahnen und die Lagekontrolle von Forschungssatelliten. Im Jahr 1994 wurde ich das erste Mal in den Deutschen Bundestag gewählt, dem ich seitdem ununterbrochen angehöre. Ich vertrete den Wahlkreis Bergstraße, meine Heimat. Im Rahmen meiner politischen Tätigkeit in Berlin war ich u.a. Vorsitzender der Arbeitsgruppe Finanzen und später lange Zeit stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion für die Bereiche Finanzen und Haushalt. Von 2014 bis 2018 war ich parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen; von 2018 bis 2021 war ich in derselben Funktion im Bundesministerium für Bildung und Forschung tätig. In der laufenden Wahlperiode gehöre ich dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages als Mitglied an.
Welche Positionen und Prioritäten befeuern Ihr Engagement für Unternehmen, Institutionen und insbesondere KMU der Raumfahrt in Ihrem Wahlkreis?
Die Raumfahrt ist mehr als Grundlagenforschung und Exploration. Raumfahrtanwendungen und Raumfahrttechnologien sind für die Bewältigung gerade der umwelt-, verkehrs-, und sicherheitspolitischen Herausforderungen unverzichtbar. Nicht allen ist zudem bewusst, wie elementar die Raumfahrt für unser alltägliches Leben ist. Smartphones, Fernsehübertragungen, die Navigation von Autos, Flugzeugen und Schiffen sowie die Wettervorhersage zeigen exemplarisch, dass viele Anwendungen unseres Alltags erst durch Raumfahrttechnologie möglich werden. Insofern sind Unternehmen und Institutionen, die auf diesem Gebiet unterwegs sind, wichtige Innovationstreiber. Und die Entwicklungen in diesem Bereich, die ich gerne verfolge, sind enorm spannend.
Einen wesentlichen Eckpfeiler der Entwicklung technologischer Fähigkeiten Deutschlands in der Raumfahrt setzt das Nationale Raumfahrtprogramm. Allerdings ist dies nominell exakt noch auf dem gleichen Stand wie vor einem Vierteljahrhundert quasi eingefroren. Frankreich dagegen investiert allein über diesen Titel in Technologieentwicklung und -ertüchtigung der eigenen Raumfahrtindustrie sowohl für internationale Projekte wie auch für kommerzielle Märkte im Wert von 700 Millionen EUR. Wie soll Deutschland am besten darauf reagieren?
Der Bund sollte die Raumfahrt grundsätzlich stärken. Allerdings wird Deutschland, wenn es nach dem Willen der Ampel-Regierung geht, im kommenden Jahr deutlich weniger ausgeben für die Raumfahrt. So sieht der Entwurf zum Bundeshaushalt 2025 im Wirtschaftsetat 2,33 Milliarden Euro für den Bereich der Luft- und Raumfahrt vor – 60 Millionen Euro weniger als in 2024. Für den Titel „Raumfahrtprogramm für Innovation und internationale Kooperation – Forschungs- und Entwicklungsvorhaben“ sind rund 291,7 Millionen Euro vorgesehen – 41 Millionen Euro weniger als in diesem Jahr. Für den Titel „Beitrag bzw. Leistungen an die ESA“ sind rund 943,7 Millionen Euro eingestellt – 99 Millionen Euro weniger als in 2024. Und für den Betrieb des DLR stehen laut Entwurf 642,7 Millionen Euro zur Verfügung. Dies ist zwar mehr als in 2024. Ursache ist allerdings keineswegs eine grundsätzliche Erhöhung des Ansatzes, sondern dass im laufenden Haushaltsjahr das DLR nicht verbrauchte Selbstbewirtschaftungstitel nutzen soll. Zieht man als Vergleichswert das Jahr 2023 heran, so muss das DLR mit 83 Millionen Euro weniger auskommen. Kurzum: Wenn es hier im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zum Bundeshaushalt 2025 zu keinen positiven Veränderungen kommt, sehen die Aussichten für die deutsche Raumfahrt leider nicht allzu rosig aus. Ich hoffe, die Ampel-Koalition besinnt sich eines Besseren.
Im kommenden Jahr findet die Ministerratskonferenz der ESA in Bremen statt. Es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten vorauszusehen, dass die Berichterstattung in der Breite besonders von massentauglichen Faszinosa wie etwa der astronautischen Besiedlung des Mondes geprägt sein wird. Raumfahrt-KMU sind darauf angewiesen, dass sie einerseits von vornherein in Projekte aller Größenordnungen eingebunden werden, andererseits aber noch genügend Mittel im Rahmen allgemeiner Technologieförderung (Stichwort „GSTP“) für die nächsten Jahre bereitgestellt werden. Welche Wege in Berlin empfehlen Sie den KMU für die Umsetzung beider Ziele, und was können Sie für die Unternehmen Ihres Wahlkreises dahingehend tun?
Wenn KMU zum Stichwort Förderung an mich herangetreten sind, so habe ich u.a. dafür geworben, dass diese frühzeitig mit passenden Universitäten bzw. außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Kontakt treten sollten. Ein aktives Networking der KMU ist hier also durchaus angezeigt. Unabhängig davon ist der DLR Projektträger ein sehr guter Ansprechpartner für Förderinteressierte. Eine entsprechende Kontaktaufnahme in diese Richtung kann sich lohnen. Des Weiteren sei auf das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) als technologie- und branchenoffenes Förderprogramm verwiesen. Die ZIM-Projektträger stehen hier interessierten mittelständischen Unternehmen beratend zur Seite.
„Resilienz“ und „dual use“ sind bei Technologiedebatten mittlerweile häufige Stichworte. Wie kann – und soll überhaupt? – die Politik dafür sorgen, dass KMU in ihrer Eigenschaft als Innovateure auf Augenhöhe mit den Branchenriesen auch bei militärischen Themen eingebunden werden?
Innovative KMU, die üblicherweise auf Spezialisierung und Nischen setzen, sind in ihrem Bereich nicht selten Technologieführer. Jedes KMU muss allerdings für sich selbst entscheiden, ob bzw. inwieweit es bei militärischen Themen involviert sein möchte. Wenn ein KMU in einem Technologiefeld aktiv ist, das von militärischer Relevanz ist, so steht das
Unternehmen üblicherweise auch im Fokus von Hackern, die es auf Betriebsgeheimnisse abgesehen haben. Mit Blick auf das Thema (Cyber-)Resilienz hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Empfehlungen speziell für KMU herausgegeben. Eine Umsetzung dieser Empfehlungen hilft dabei, das Cybersicherheitsniveau signifikant zu erhöhen und sich damit vor Cybergefahren zu schützen.
Speziell auf EU-Ebene, aber auch bei der ESA, erzeugt vor allem ein Phänomen bei den KMU der Raumfahrt Reaktionen zwischen Resignation und blankem Entsetzen: die Bürokratie. Besonders das als ausufernd empfundene Berichtswesen schafft hier nicht nur Unmut, sondern durch den Personalaufwand handfeste Kostenbelastungen, übrigens auch dadurch, dass auftraggebende Großunternehmen ihre eigene Bürokratie-Belastung auf die Zulieferer abwälzen. Dazu kommt die unangenehme Gewissheit, dass für die „Ganztagsbetreuung“ des Themas bei der EU wieder neue Planstellen mit Steuergeldern finanziert werden. Wie lässt sich dieser Automatismus effektiv unterbrechen? In Deutschland übrigens ein ähnliches Phänomen: Noch ist nicht einmal ein Referentenentwurf zum Thema „nationales Weltraumgesetz“ geschrieben, da wird schon festgelegt, dass für das Thema eine eigene Behörde geschaffen werden muss. Kann man beim Thema „Bürokratie“ mittlerweile schon von einem nur noch sehr schwer zu durchbrechenden Pawlowschen Reflex der Politik ausgehen – braucht es dafür also vielleicht schon so etwas wie politische Psychotherapie?
Überbordende Bürokratie auf verschiedenen Ebenen, Regelungssucht und mangelnde Flexibilität gefährden den Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutschland. Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben wir deswegen auch eine „Agenda für Bürokratieabbau“ gefordert und einen entsprechenden Antrag zur Abstimmung gestellt. Darin haben wir unter anderem eine selbstbeschränkende Bürokratiebremse vorgeschlagen, die eine sofortige Rücknahme neuer gesetzlicher oder untergesetzlicher Bürokratiebelastungen bewirkt, wenn eine bestimmte Bürokratiequote überschritten wird. Neben weiteren Punkten haben wir auch gefordert, die „One in, one out“-Regelung zu einer „One in, two out“-Regelung zu modifizieren. Leider hat die Ampel-Koalition den Antrag mit ihrer Mehrheit im Bundestag abgelehnt. Losgelöst von konkreten Maßnahmen zum Bürokratieabbau geht es in meinen Augen aber auch um etwas ganz Grundsätzliches: Man muss Vertrauen in die Menschen setzen und die sich schleichend ausgebreitete Misstrauenskultur beenden. Wenn etwas nicht konkret geregelt ist, sollte man in allererster Linie auf die Eigenverantwortung der Menschen setzen und ihnen zutrauen, dass sie Dinge selbst und vernünftig regeln können. Ein wesentlicher Ansatzpunkt wäre, wenn in vielen Fällen lediglich Qualitäts- und Zielvorgaben gemacht würden, aber keine Berichts- bzw. Dokumentationspflicht mit Blick auf das Wie – also: die einzelnen Umsetzungsschritte – installiert würde. Als Unionsfraktion im Deutschen Bundestag haben wir übrigens im Jahr 2021 ein Positionspapier mit dem Titel „Neustaat – Deutschland modernisieren, damit Gutes bleibt“ verabschiedet. Darin schlagen wir 40 konkrete Maßnahmen zur Staatsmodernisierung vor, damit unser Land einfacher, agiler, digitaler und krisenfester wird.
Vielen Dank, Herr Dr. Meister, für das Gespräch. Wir würden uns sehr freuen, Sie zur Bekanntgabe der Ergebnisse der bundesweiten KTR-Wahlkreisaktion auf dem KMU-Gemeinschaftsstand der SpaceTech Expo in Bremen begrüßen zu dürfen.
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