Mit KTR sprach Ralph Lenkert, MdB, Wahlkreis Jena-Weimarer Land I-Sömmerda
Das nachfolgende Interview entstand im Rahmen der KTR-Aktion zur Erfassung des Meinungsbildes und des Engagements der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Sachen Raumfahrt-KMU. Die Ergebnisse der Aktion aus allen betroffenen 95 „Raumfahrt“-Wahlkreisen insgesamt – hier in KTR online ab 19. November 2024 – können je nach Empfindlichkeit ernüchtern oder auch erschüttern. Umso erfreulicher nahmen sich die Erfahrungen mit einer kleinen Gruppe Abgeordneter aus, die über ihre Teilnahme am Meinungsbild hinaus auch bereit waren, sich im Rahmen eines Interviews noch einmal dezidiert wie kompetent zur aktuellen Raumfahrtpolitik zu äußern. Für das folgende Gespräch dankt die Redaktion von KTR sehr herzlich Herrn Ralph Lenkert, MdB des Wahlkreises Jena-Weimarer Land I – Sömmerda.
Herr Lenkert, mit welchen Stichworten sehen Sie sich am besten in der Kurzfassung vorgestellt?
Seit meinem vierten Lebenstag wohne ich in Jena, lernte bei Carl-Zeiss Werkzeugmacher, fertigte schon in der Lehre Bauteile für Weltraumprojekte. Als Techniker für Maschinenbau bei Zeiss hatte ich später über Projektionstechnik Verbindungen zur Vermittlung der Erkenntnisse aus Wissenschaft und Weltraumforschung. Jena steht für wissenschaftlichen Fortschritt und da ist es logisch, dass der Weltraum in unserem (optischen) Fokus steht. Friedrich-Schiller-Universität, Ernst Abbe Hochschule, Fraunhofer-, Leibnitz-, Max-Planck-Institute schaffen eine einzigartige Bildungs- und Forschungslandschaft in Jena und es war auch mein Erfolg als Bundestagsabgeordneter, ein DLR- Institut nach Jena zu bekommen sowie das Patentamt in Jena zu erweitern. Der Wahlkreis Jena – Weimarer Land I – Sömmerda steht historisch für Aufklärung, für Wissenschaft und Fortschritt. Damit uns die dunklen Seiten der deutschen Geschichte nicht erneut überrollen braucht es Wissenschaft und Aufklärung gegen Fakenews und Wissenschaftsleugnung, dafür braucht es auch die Weltraumforschung.
Welche Positionen und Prioritäten befeuern Ihr Engagement für Unternehmen, Institutionen und insbesondere KMU der Raumfahrt in Ihrem Wahlkreis?
In meinem Wahlkreis befindet sich mit Jena die Geburtsstadt der optischen Industrie. Carl Zeiss Jena entwickelte das erste Planetarium, moderne Teleskope, setzte mit der Multispektraltechnik Maßstäbe in der Erdfernerkundung und ist weiterhin wichtiger Standort von ZEISS. Ohne Unternehmen wie Jenoptik, Jena-Optronic und weiteren Firmen und Instituten aus Jena würden viele Weltraummissionen nicht stattfinden. In fast allen Raumfahrtprojekten sind Komponenten aus Jena enthalten. Hier sind also jahrzehntelange Erfahrungen am Standort mit neuester Wissenschaft, modernsten Technologien und regionaler Wertschöpfung verbunden.
Einen wesentlichen Eckpfeiler der Entwicklung technologischer Fähigkeiten Deutschlands in der Raumfahrt setzt das Nationale Raumfahrtprogramm. Allerdings ist dies nominell exakt noch auf dem gleichen Stand wie vor einem Vierteljahrhundert quasi eingefroren. Frankreich dagegen investiert allein über diesen Titel in Technologieentwicklung und – ertüchtigung der eigenen Raumfahrtindustrie sowohl für internationale Projekte wie auch für kommerzielle Märkte im Wert von 700 Millionen EUR. Wie soll Deutschland am besten darauf reagieren?
Deutschland sollte in dem Gebiet deutlich mehr investieren, wenn es hier mithalten will. Gemeinschaftsprojekte wie GRACE oder das Kopernikus-Programm sind eine gute Basis dafür. Zum Glück für Jenaer Firmen sind sie auch an anderen Raumfahrtprogrammen wie z.B. der NASA beteiligt. Das sichert über europäische und nationale Mittel hinaus die hohe Kompetenz bei Technik für die Raumfahrt.
Im kommenden Jahr findet die Ministerratskonferenz der ESA in Bremen statt. Es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten vorauszusehen, dass die Berichterstattung in der Breite besonders von massentauglichen Faszinosa wie etwa der astronautischen Besiedlung des Mondes geprägt sein wird. Raumfahrt-KMU sind darauf angewiesen, dass sie einerseits von vornherein in Projekte aller Größenordnungen eingebunden werden, andererseits aber noch genügend Mittel im Rahmen allgemeiner Technologieförderung (Stichwort „GSTP“) für die nächsten Jahre bereitgestellt werden. Welche Wege in Berlin empfehlen Sie den KMU für die Umsetzung beider Ziele, und was können Sie für die Unternehmen Ihres Wahlkreises dahingehend tun?
Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Risiken für KMU in der Raumfahrtbranche geringhalten können. So müssen wir sie beispielsweise davor schützen, dass ihnen Haftung und Verantwortung einfach von großen Herstellern ohne Kostenbeteiligung übergeholfen wird.
Wir brauchen die KMU als Innovationstreiber mit regionaler Wertschöpfung. Denkbar wäre beispielsweise, dass unter dem Dach der ESA ein Programm ausgerufen wird, unter dem preisgünstige bzw. verbilligte Transportoptionen für Raumfahrtanwendungen angeboten werden. Das könnte EU-weit kleinen und mittleren Unternehmen und Forschungseinrichtungen der Branche helfen, Finanzrisiken zu minimieren und dementsprechend auch die Bereitschaft von Investoren erhöhen, sich an KMU-Projekten zu beteiligen und diese auszustatten.
„Resilienz“ und „dual use“ sind bei Technologiedebatten mittlerweile häufige Stichworte. Wie kann – und soll überhaupt? – die Politik dafür sorgen, dass KMU in ihrer Eigenschaft als Innovateure auf Augenhöhe mit den Branchenriesen auch bei militärischen Themen eingebunden werden?
Nach meiner Auffassung müssen Bürokratie und Förderprogramme sowohl bei zivilen als auch bei Dual-Use-Anwendungen so gestaltet werden, dass KMU mit im Verhältnis gleichem Aufwand teilnehmen können. Konkrete militärische Anwendungen, die gesamte militärische Sparte selbst, sollte allerdings grundsätzlich und ausschließlich staatlich kontrolliert und bewirtschaftet werden, damit ausgeschlossen wird, dass durch Kriegsgerät und letztlich Kriege dann private Profite generiert werden können. Das gilt nicht nur für die Raumfahrt.
Speziell auf EU-Ebene, aber auch bei der ESA, erzeugt vor allem ein Phänomen bei den KMU der Raumfahrt Reaktionen zwischen Resignation und blankem Entsetzen: die Bürokratie. Besonders das als ausufernd empfundene Berichtswesen schafft hier nicht nur Unmut, sondern durch den Personalaufwand handfeste Kostenbelastungen, übrigens auch dadurch, dass auftraggebende Großunternehmen ihre eigene Bürokratie-Belastung auf die Zulieferer abwälzen. Dazu kommt die unangenehme Gewissheit, dass für die „Ganztagsbetreuung“ des Themas bei der EU wieder neue Planstellen mit Steuergeldern finanziert werden. Wie lässt sich dieser Automatismus effektiv unterbrechen?
Das grundsätzliche Problem in Deutschland und in der EU ist, dass Großunternehmen für mehr Bürokratie lobbyieren, um kleine und mittlere Unternehmen zu benachteiligen und auszuschließen. Hinzu kommt, dass aufgrund einzelner schwarzen Schafe ein tiefes Misstrauen in den Behörden gegenüber privatwirtschaftlichen Partnern herrscht. Gleichzeitig haben wir durch die moderne Medienkultur das Problem, dass jede Fehlentscheidung einer Behörde in die Öffentlichkeit gezerrt und oft unverhältnismäßig kritisiert wird. Selbst richtige Entscheidungen werden mit einseitiger Sicht sachwidrig als Fehler skandalisiert. Diese Punkte führen im Teufelskreis zu immer mehr Bürokratie. Eine Möglichkeit, das zu durchbrechen, wäre ein anderes Haftungsrecht und eventuell andere Fördermechanismen über Fonds, die einerseits ohne große Rechtfertigung ins Risiko gehen dürfen, aber andererseits bei Erfolg von Projekten entsprechenden Mittelrückfluss liefern; angelehnt an Risikofonds in den USA. Und letztlich brauchen wir eine andere Fehlerkultur, die in Misserfolgen den Erkenntnisgewinn und nicht ein Versagen sieht.
In Deutschland übrigens ein ähnliches Phänomen: Noch ist nicht einmal ein Referentenentwurf zum Thema „nationales Weltraumgesetz“ geschrieben, da wird schon festgelegt, dass für das Thema eine eigene Behörde geschaffen werden muss. Kann man beim Thema „Bürokratie“ mittlerweile schon von einem nur noch sehr schwer zu durchbrechenden Pawlowschen Reflex der Politik ausgehen – braucht es dafür also vielleicht schon so etwas wie politische Psychotherapie?
Wenn es ein Gesetz gibt, muss es jemanden geben, der das Gesetz durchsetzt. Uns wäre es am liebsten, wenn dies auf UN- oder wenigstens auf EU-Ebene reguliert wird. Ansonsten ist eine nationale Regulierung unerlässlich, um kriminelle Energien entgegenzuwirken. Wenn die Moral der Menschen besser wäre, könnten wir uns einen großen Teil der Regulierung sparen. Ob es eine neue Behörde geben muss, weiß ich nicht. Aber falls nicht, müsste eine bestehende Behörde die Aufgabe mit übernehmen. Da bietet sich das Luftfahrt-Bundesamt an. Allerdings ist dieses extrem auf Flugsicherheit ausgerichtet – ob das zu einer jungen, innovativen, experimentierfreudigen Branche passt?
Vielen Dank, Herr Lenkert, für das Gespräch. Wir würden uns sehr freuen, Sie zur Bekanntgabe der Ergebnisse der bundesweiten KTR-Wahlkreisaktion auf dem KMU-Gemeinschaftsstand der SpaceTech Expo in Bremen begrüßen zu dürfen.
Weitere Interviews aus der Serie „Raumfahrtkompetenz im Deutschen Bundestag“:
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