Klartext Raumfahrt

Nihil fit sine causa

Interview-Serie „Raumfahrtkompetenz im Deutschen Bundestag“

Carsten Müller, Braunschweig; Foto: Tobias Koch

Mit KTR sprach Carsten Müller, Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Braunschweig

Das nachfolgende Interview entstand im Rahmen der KTR-Aktion zur Erfassung des Meinungsbildes und des Engagements der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Sachen Raumfahrt-KMU. Die Ergebnisse der Aktion aus allen betroffenen 95 „Raumfahrt“-Wahlkreisen insgesamt – hier in KTR online ab 19. November 2024 – können je nach Empfindlichkeit ernüchtern oder auch erschüttern. Umso erfreulicher nahmen sich die Erfahrungen mit einer kleinen Gruppe Abgeordneter aus, die über ihre Teilnahme am Meinungsbild hinaus auch bereit waren, sich im Rahmen eines Interviews noch einmal dezidiert wie kompetent zur aktuellen Raumfahrtpolitik zu äußern. Für das folgende Gespräch dankt die Redaktion von KTR sehr herzlich Herrn Carsten Müller, Braunschweig.

Herr Müller, mit welchen Stichworten sehen Sie sich am besten in der Kurzfassung vorgestellt?

Braunschweig liegt im Zentrum der forschungsintensivsten Region Europas mit einem der bedeutendsten Luft- und Raumfahrt-Cluster des Kontinents. Als in Braunschweig geborener und lebender Abgeordneter des Deutschen Bundestages setze ich mich für die Interessen der Region ein – ganz besonders auch die der Luft- und Raumfahrtforschung sowie -industrie.

Welche Positionen und Prioritäten befeuern Ihr Engagement für Unternehmen, Institutionen und insbesondere KMU der Raumfahrt in Ihrem Wahlkreis?

Nicht nur hat die wirtschaftliche und militärische Bedeutung der Raumfahrt stark zugenommen, sondern der Weltraum ist unbestritten ein wichtiger „Chancenraum“. Internationale, private Weltraumunternehmen führen vor Augen, welche Begeisterung und welche Aufbruchstimmung die Raumfahrt auslösen kann. Die Faszination Weltraum kann ein wichtiger Impulsgeber für die Wirtschaft und die internationale Zusammenarbeit sein. Der Raumfahrtsektor in Deutschland ist überwiegend von staatlichen Aufträgen geprägt. Das muss sich ändern. Start-Ups sowie Kleine- und mittlere Unternehmen (KMU) müssen besser am Markt der Raumfahrtindustrie partizipieren können, denn vor allem sie sind es, die mit neuen Innovationen Potenziale heben und neue Chancen eröffnen. Auf sie kommt es besonders an, denn im globalen und auch europäischen Vergleich hinkt Deutschland hinterher. Die nächste Bundesregierung muss hier einen Schwerpunkt mit neuen Impulsen setzen.

 Einen wesentlichen Eckpfeiler der Entwicklung technologischer Fähigkeiten Deutschlands in der Raumfahrt setzt das Nationale Raumfahrtprogramm. Allerdings ist dies nominell exakt noch auf dem gleichen Stand wie vor einem Vierteljahrhundert quasi eingefroren. Frankreich dagegen investiert allein über diesen Titel in Technologieentwicklung und -ertüchtigung der eigenen Raumfahrtindustrie sowohl für internationale Projekte wie auch für kommerzielle Märkte im Wert von 700 Millionen EUR. Wie soll Deutschland am besten darauf reagieren?

Deutschland hinkt im europäischen und globalen Vergleich in der Tat hinterher. Das kann nicht der Anspruch der Industrienation Deutschland sein. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden viele Potenziale nicht gehoben und an vielen Stellschrauben nicht gedreht. Daran hat auch die 2023 von der gescheiterten Bunderegierung von SPD, Grünen und FDP verabschiedete zivile Raumfahrtstrategie nichts verändert. Sie ist inhaltsleer und formuliert keine nationalen Interessen. Auch fehlt, im Bezug zu den von Ihnen angesprochenen französischen Interessen, eine klare Abgrenzung zu EU-Aktivitäten, die unter Kommissar Breton vor allem französischen Interessen diente. Für das nationale Weltraumgesetz liegen auch nach drei Jahren Ampel nur Eckpunkte vor. Die Weltraumsicherheitsstrategie wurde immer wieder verschoben. Während die Raumfahrtbudgets weltweit steigen, hat die Ampel die Mittel stetig gekürzt. Im Haushaltsentwurf 2025 waren sogar nur noch 291 Millionen Euro vorgesehen, obwohl die Branche einen Bedarf von etwa 750 Millionen Euro ausweist. Hier ist eine dringende Kehrtwende notwendig. Die Bundespolitik ist gefordert, ausreichende Mittel verfügbar zu machen und den Rahmen für Innovation und künftige Fähigkeiten zu definieren, ohne eine Vielzahl von Regularien und überbordender Bürokratie zu schaffen. Daran wird eine wichtige Aufgabe für die neue Bundesregierung sein. Das werden CDU und CSU im anstehenden Wahlkampf deutlich machen und im nächsten Bundestag entsprechend vertreten.

Im kommenden Jahr findet die Ministerratskonferenz der ESA in Bremen statt. Es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten vorauszusehen, dass die Berichterstattung in der Breite besonders von massentauglichen Faszinosa wie etwa der astronautischen Besiedlung des Mondes geprägt sein wird. Raumfahrt-KMU sind darauf angewiesen, dass sie einerseits von vornherein in Projekte aller Größenordnungen eingebunden werden, andererseits aber noch genügend Mittel im Rahmen allgemeiner Technologieförderung (Stichwort „GSTP“) für die nächsten Jahre bereitgestellt werden. Welche Wege in Berlin empfehlen Sie den KMU für die Umsetzung beider Ziele, und was können Sie für die Unternehmen Ihres Wahlkreises dahingehend tun?

Allein im Bereich des erdnahen Weltraums bis zum geostationären Orbit werden weltweit knapp 500 Milliarden Euro jährlich umgesetzt – mit steigender Tendenz. Zudem sind – ohne Zweifel – Leuchtturmprojekte von großer Bedeutung. Ich stimme Ihnen jedoch uneingeschränkt zu, dass es neben den großen Visionen vor allem planungssichere, technologieoffene und innovationsfreundliche Projekte aller Größenordnung unter gezielter Einbindung der KMUs geben muss. Hier spielt der „Chancenraum“ Weltraum sein großes wirtschaftliches Potenzial für die Unternehmen im Luft- und Raumfahrtsektor aus.

Die KMUs sind das Rückgrat unserer Wirtschaft. Sie sind die Treiber von Innovation und Fortschritt. Ohne den Mittelstand kann es vor allem auch im Luft- und Raumfahrtsektor nicht gelingen, bestehende Abhängigkeiten ab- und eigene Fähigkeiten aufzubauen. Daher ist eine konsequente Mittelstandspolitik Voraussetzung für eine breite Wachstumsdynamik und maßgebliche Wertschöpfung.

 „Resilienz“ und „dual use“ sind bei Technologiedebatten mittlerweile häufige Stichworte. Wie kann – und soll überhaupt? – die Politik dafür sorgen, dass KMU in ihrer Eigenschaft als Innovateure auf Augenhöhe mit den Branchenriesen auch bei militärischen Themen eingebunden werden?

Nach den letzten drei Jahren einer ideologisch geprägten „Wirtschaftspolitik“ ohne notwendige Reformen ist Deutschland das einzige Industrieland ohne Wachstum und bereits im zweiten Jahr in einer Rezession. Der Schaden ist enorm und verlangt sofort entschlossene Gegenmaßnahmen. Es braucht eine Wachstumsagenda mit grundlegenden und mutigen Strukturreformen, die großen wie mittelständischen Unternehmen gleichermaßen zugutekommt. Wir müssen den KMUs alle Möglichkeiten zum Ausschöpfen ihrer Potenziale an die Hand geben. Neben dem konsequenten Bürokratieabbau und weniger Regulierung braucht es niedrigere, wettbewerbsfähige Steuern, ein sicheres, größeres und bezahlbares Energieangebot, gut ausgebildete Fachkräfte sowie eine konsequente, verlässliche Investitions- und Innovationsoffensive. Die Erfolgsgeschichte der deutschen Wirtschaft hat bewiesen: Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, agieren die mittelständischen Unternehmen stets auf Augenhöhe und sind in ihren spezifischen Sektoren immer wieder Innovationsträger, Taktgeber und Weltspitze. Diese Stärke der deutschen Industrie entlang der gesamten Wertschöpfungskette ist wesentlich für unsere strategische Resilienz. Das muss eine echte Wirtschaftspolitik sicherstellen.

 Speziell auf EU-Ebene, aber auch bei der ESA, erzeugt vor allem ein Phänomen bei den KMU der Raumfahrt Reaktionen zwischen Resignation und blankem Entsetzen: die Bürokratie. Besonders das als ausufernd empfundene Berichtswesen schafft hier nicht nur Unmut, sondern durch den Personalaufwand handfeste Kostenbelastungen, übrigens auch dadurch, dass auftraggebende Großunternehmen ihre eigene Bürokratie-Belastung auf die Zulieferer abwälzen. Dazu kommt die unangenehme Gewissheit, dass für die „Ganztagsbetreuung“ des Themas bei der EU wieder neue Planstellen mit Steuergeldern finanziert werden. Wie lässt sich dieser Automatismus effektiv unterbrechen?

In Deutschland übrigens ein ähnliches Phänomen: Noch ist nicht einmal ein Referentenentwurf zum Thema „nationales Weltraumgesetz“ geschrieben, da wird schon festgelegt, dass für das Thema eine eigene Behörde geschaffen werden muss. Kann man beim Thema „Bürokratie“ mittlerweile schon von einem nur noch sehr schwer zu durchbrechenden Pawlowschen Reflex der Politik ausgehen – braucht es dafür also vielleicht schon so etwas wie politische Psychotherapie?

Der gesetzliche Rahmen muss fördern, nicht hindern. Ganz besonders in den letzten Jahren wurde das Thema Bürokratieabbau häufig thematisiert, aber zu wenig wirksam umgesetzt. Jeder Schritt vorwärts war auch immer mit einem, gefühlt zwei oder sogar drei Schritten zurück verbunden. Ein bundespolitisches Beispiel: Die Kernverwaltung der Bundesministerien hatte vor zehn Jahren noch 17.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aktuell sind es 30.000. In der Bundesverwaltung sind es mittlerweile 962 Behörden. Das ist ganz klar die falsche Entwicklung und bedarf einer zwingenden Korrektur. Wir müssen eine grundlegende Regelung verankern, wonach für jede neue Regelung mindestens eine alte abgeschafft wird – besser wäre es, sogar zwei alte Regeln abzuschaffen. Es ist an der Zeit, die bürokratischen Fesseln auf allen Ebenen zu sprengen und wieder die Eigenverantwortung in den Mittelpunkt zu stellen. Eine entschlossene Umsetzung dieser Regelung würde den „Pawlowschen Reflex der Politik“ zwingend durchbrechen. Dafür steht die Union!

Mit KTR sprach Gerold Otten, Wahlkreis München Land

Mit KTR sprach Dr. Michael Meister, Wahlkreis Bergstraße (Hessen)

Mit KTR sprach Dr. Rainer Kraft, Wahlkreis Augsburg Land

Mit KTR sprach Ralph Lenkert, MdB, Wahlkreis Jena-Weimarer Land I-Sömmerda