IRIS²: „Dead in the water“

©EUSPA, ©EU Agency for the Space Programme

Vorweg angemerkt: Gerne hätten wir diesen Artikel als Kommentar zur Halbzeit des Projektes IRIS2 gebracht. Das ging nicht. Weil bis heute nicht klar ist, wann dieser Zeitpunkt einer Halbzeit verkündet werden kann, geschweige denn, welcher es sein wird.

Noch vor wenigen Tagen suchten die Fürsprecher von IRIS2 im französischen Parlament noch mit Verve die Reihen der Verteidigung des Projektes zu schließen und bedienten sich dabei des probaten Mittels, den Verrat an der Sache einem genau beschriebenen Feind zuzuschreiben – in diesem Fall einer Allianz aus Italien und Deutschland, das Ganze dargelegt am 14. Mai 2025 im RAPPORT D’INFORMATION der französischen Nationalversammlung durch die COMMISSION DE LA DÉFENSE NATIONALE ET DES FORCES ARMÉES zum Thema „militärische und industriestrategische Anwendungen von Satelliten“, präsentiert von den Abgeordneten Arnaud Saint-Martin und Corinne Vignon.

Die beiden nehmen bei der Formulierung ihrer Forderungen an die französische Regierung kein Blatt vor den Mund: Frankreich müsse angesichts des drohenden Rückzugs von Partnern im Projekt IRIS2 dringend eine klare Position beziehen. Schließlich sei das Projekt lebenswichtig für die großen Hersteller und biete auch KMU wirtschaftliche Vorteile. Deshalb, so der Vorschlag 19 des Berichts, seien Maßnahmen zur Sicherstellung der Inbetriebnahme von IRIS² bis 2030 zu treffen und dabei der Bezug von Komponenten und Leistungen über europäische Lieferanten wie auch die Starts durch Ariane 6 zu garantieren.

Darüber hinaus ergeht Vorschlag Nummer 20, das Fehlen eines französischen Bodensegments im IRIS²-Programm zu korrigieren und Frankreich als Speerspitze in dieser Nische zu positionieren. Eine deutliche Reaktion habe nun auch auf den „besorgniserregenden Rückzug“ Deutschlands und Italiens zu erfolgen; während Italien mit Starlink als Alternative verhandele, sei Deutschland auf dem Weg, für seine Bundeswehr eine eigene Infrastruktur zu beschaffen, deren Aufbau der deutschen Industrie vorbehalten bliebe. Diese Entwicklung werde vorangetrieben von Bundeswehr, BDLI und OHB. So zeige sich Deutschland „sehr negativ gegenüber dem Engagement von IRIS²“, wird der schriftliche Beitrag von Jean-Pierre Diris, interministerieller Koordinator von IRIS² der französischen Regierung zitiert und geschlussfolgert: „Das Spiel bestimmter Partner ist daher undurchsichtig und gefährdet den erfolgreichen Abschluss des Projekts einer europäischen autonomen Konstellation. Dies führt dazu, dass Frankreich bei der Verteidigung seiner ehrgeizigen Ambitionen für eine strategische Autonomie Europas relativ isoliert ist.“ Deshalb, so dann Vorschlag 21, seien die Partner Frankreichs – gemeint sind vor allem Italien und Deutschland – im Rahmen der bevorstehenden europäischen Verhandlungen hinsichtlich ihrer Teilnahme am IRIS2-Projekt an ihre Verantwortung zu erinnern. Helfen soll dabei, sagt Vorschlag Nr. 22, kommerzielle Dienste rund um IRIS² zu ermöglichen und die Betreiber zu ermutigen, die Infrastruktur fertigzustellen, um das Projekt finanziell abzusichern und zögerliche Länder zu überzeugen.

Es war dies der letzte Versuch, die Debatte um IRIS2 wieder in politisch beruhigte und kontrollierbare Fahrwasser zu lenken. Der letzte Versuch, bevor sich wieder einmal die zeitlose Weisheit US-Präsident Abraham Lincolns bestätigte: “You can fool some of the people all the time, and you can fool all the people some of the time, but you can never fool all the people all the time.” Denn wie sich nun auch in Amsterdam zeigte, scheitern auch heute noch selbst sehr mächtige Zeitgenossen beim Versuch, dem Rest der Welt mit einem grotesken Narrativ krass falscher Behauptungen einen Bären ohne Verfallsdatum aufzubinden. Stattdessen eroberte, wie von medial Ersten Fachadressen, Spaceintelreport, Spacenews und Advanced Television, so berichtet, in Amsterdam die Kritik an IRIS2 die offene Bühne:

  • IRIS2 fehlt es an Konsistenz: es gibt keine detaillierten Belege für die behauptete Komplementarität zwischen den Konstellationselementen auf LEO, MEO und V-LEO, Rollen und Verantwortungsbereiche sind zwischen den Konsortialpartnern noch immer nicht hinreichend abgestimmt, Schnittstellen und Interoperabilitäten immer noch nicht in erforderlicher Weise definiert, so etwa in Teilen Stephane Israel, ehemaliger Arianespace-CEO, aber auch Steve Collar, ehemaliger SES-CEO
  • IRIS2-Kosten: die industriellen Kostenprojektionen übertreffen die Budgetdaten des Konsortiums um rund eine Milliarde Euro, es gibt weder gemeinsame Kostenkontrollen noch ausgehandelte Kompromisse, budgetäre Ambitionen und Bedarfe sind noch zu unabgestimmt 
  • Einnahmen unklar: kommerzielle Effekte jenseits institutioneller Einnahmen aus dem Hard-Gov-Teil schleierhaft, es gibt keine gegen die Konkurrenz von Starlink und Kuiper validierten Geschäftsmodelle, keinen Ankerkunden, keine Ahnung und keinen Plan Richtung Einnahmengenerierung und -steigerung, so etwa Daniel Biederman von NewSpace Capital und andere Finanzierungsspezialisten
  • Fertigstellung unbekannt: kritische Technologien über alle Plattformen hinweg noch im Status des Werdens, Ende unabsehbar, unfertige Zulieferbasis verursacht hohe Programmrisiken, Startdatum 2029 unsicher
  • Fragmentierung: Konkurrenz durch nationale Konstellationsprojekte können IRIS2 unterminieren, Abstimmung zwischen Mitgliedsstaaten und EU-Kommission unzureichend, Projekterfolg wird von gemeinsam getragener Vision und koordinierter Ausführung abhängen – es fehlt an beidem.

Mit anderen Worten: bei IRIS2 stimmt nichts von alledem, was seit Jahren steif und fest behauptet wird. Selbst diese hier nun offen aufgeführten Kritikpunkte lassen sich mühelos durch weitere ergänzen, Beispiel Startdatum 2029: schon Eutelsat-Chefin Berneke widersprach der offiziellen Legende und setzte stattdessen das Jahr 2031; fragt man dann noch die Spezialisten für Quantenverschlüsselung, so wird das wohl eher nichts in den nächsten zehn bis 15 Jahren mit wie versprochen supersicherer Kommunikation. Entsprechend ist QKD schon gar kein Thema mehr im Kontext IRIS2. Darüber hinaus wird offenbar auch gerne übersehen, dass die Konstellation gar nicht bis 2030, wie von den französischen Parlamentariern so forsch verlangt, durch Ariane 6 befördert werden kann, und das aus einem sehr einfachen Grund: weil Europas Rakete keine Zeit für Europas Satelliten hat, da sie ein paar Jahre damit beschäftigt sein wird, mit erster Priorität die Konkurrenz von IRIS2, nämlich die Kuiper-Konstellation, ins All zu bringen. Aber erst einmal müsste Europas Konstellation ja überhaupt gebaut werden – und im Rahmen einer sinnhaften Reihenfolge wäre es noch davor förderlich zu wissen, was man denn bauen will.

Bis dahin ist das Einzige, dessen man einigermaßen sicher sein kann, dass die Kosten steigen werden, ohne dass es was  Erkennbares für´s Geld gibt. Oder, wie es Sven Meyer-Brunswick von Bulent Altans Alpine Space Ventures ausdrückte:

„IRIS2 is dead in the water.“

Quellen u.a.:

https://www.advanced-television.com/2025/05/29/iris2-is-dead-in-the-water/

https://www.spaceintelreport.com/europes-iris2-organization-contractor-selection-likely-cost-and-schedule-are-now-openly-questioned/

https://spacenews.com/skepticism-lingers-about-cost-and-business-case

RAPPORT D’INFORMATION N° 1425, ASSEMBLÉE NATIONALE, le 14 mai 2025
DÉPOSÉ en application de l’article 145 du Règlement
PAR LA COMMISSION DE LA DÉFENSE NATIONALE ET DES FORCES ARMÉES