Deutschland mahnt vom Katzentisch
Die EU-Kommission hat am 24. November 2023 das von ihr seit Jahren favorisierte Bieterkonsortium für die Konstellation aufgerufen, bis zum 14. Februar 2024 das finale beste Angebot abzugeben. ESA-seitig haben die Teilnehmerstaaten am 8. Dezember ihre finanziellen Beteiligungen am Programm festgezurrt. In der nun folgenden Phase der ESA-Aktivitäten zu IRIS² ab 14. Dezember sollen die Unterstützungsleistungen für die Entwicklungsarbeiten seitens ESA stattfinden. Am 11. März ´24 will die EU ihrem Konsortium den Vertrag zusagen und sieht für die Unterschrift den 31. März 2024 vor.
Bereits zu Beginn des nun endenden Jahres 2023 und lange vor dem jüngsten Haushaltsdebakel dieser Bundesregierung hatte das deutsche Finanzministerium die im Zusammenhang mit der letzten ESA-Ministerkonferenz seitens der deutschen Regierung – vertreten durch Dr. Anna Christmann und Dr. Robert Habeck – der ESA zugesagten rund 189 Millionen Extra-Euro nicht freigegeben, während etwa Frankreich bei Verzicht auf eine nationale Projektvariante seine Beteiligung auf 300 Millionen hochschraubte, allerdings strikt nur unter der Bedingung entsprechend hoher französischer Industrieanteile insbesondere für seine KMU. Damit hat Deutschland im Prinzip weitgehend am Katzentisch Platz genommen. Dessen ungeachtet stellt nun Dr. Christmann in einem Schreiben an die mächtigen Manager des gesetzten LSI-Konsortiums ihre Erwartungen auf:
„- Wir erwarten eine klare Rolle der deutschen Industrie bei der Führung der MEO-Mission, die es deutschen Unternehmen ermöglicht, die Ergebnisse auch für eine kommerzielle Verwertung unabhängig von den anderen Anbietern im Bieterkonsortium zu nutzen. Für die Nutzlast des Raumsegments glauben wir, dass deutsche Unternehmen mehr als nur optische Terminals beisteuern können. Die Fähigkeiten deutscher Unternehmen bleiben in der aktuellen Diskussion um die Weltraumarchitektur leider ungenutzt.“
Nach aktuellem Stand der Dinge wird die angesprochene MEO-Mission durch Eutelsats OneWeb-Flotte der zweiten Generation erfüllt – durch Satelliten also, deren Bau, Bereitstellung und Einsatz ursprünglich nichts mit IRIS2 zu tun hatten und nun einfach zusätzlich dafür genutzt werden, weil für eine eigenständige Lösung selbst der EU die Mittel fehlen.
Ironie der Geschichte: noch 2022 wollte Kommissar Breton Eutelsat die Beteiligung am IRIS2-Konsortium verwehren, weil er angesichts der Übernahme von Anteilen an OneWeb Verrat an Europa witterte. OneWeb ist jedenfalls ein rein industrielles Projekt ohne Berührungspunkte mit der deutschen Raumfahrtpolitik, welche nun auch nicht dadurch entstehen, dass es für Europas Raumfahrt Bedeutung gewinnt. Insofern trifft die Feststellung der Koordinatorin zu, dass die Fähigkeiten deutscher Unternehmen jenseits des Bausteins Laserlink-Kommunikation ungenutzt bleiben werden. Die Frage jedoch, warum diese Feststellung hier gegenüber den LSI-Managern überhaupt getroffen wird, nachdem eingangs gegenteilige „Erwartungen“ vorgetragen wurden, beantwortet der Brief nicht.
„Erwartungen“ werden nochmals geäußert, wenn es heißt: „IRIS² bietet die Möglichkeit, terrestrische Telekommunikations-unternehmen zu integrieren, um ein nahtlos integriertes terrestrisch-nicht-terrestrisches Netz mit einem starken Fokus auf den Dienst für den Endkunden zu realisieren. Wir erwarten, dass deutsche Unternehmen in diesem Bereich eine starke Rolle spielen und ihre Kompetenz bei der Integration von 5G in IRIS² einbringen.“ Diese Erwartung wurden allerdings schon erfüllt, bevor sie aufgestellt wurde – zu dem Zeitpunkt im ersten Halbjahr 2023 nämlich, als die Deutsche Telekom in das LSI-Konsortium einstieg. Warum sie also hier überhaupt aufgestellt wird? Unklar, wie auch der Grund für die Mahnungen an die LSI, die seitens ESA vorgegebenen 15-prozentigen Arbeitsanteile für KMU einzuhalten und Untersuchungen geeigneter Nutzerendgeräte für Hard-Gov-Dienste sowie die Vorbereitung von Tests und Schulungen für institutionelle Nutzer bereits zu Beginn der Systemarbeiten vorzunehmen. Nach Lage der Dinge berücksichtigen die LSI diese Punkte schon aus eigenem Interesse, ohne dafür der Ermahnung zu bedürfen.
Weitere Forderungen an die LSI-Manager finden dann auf eher knietiefer Stufe unverbindlicher Vorschläge im Konjunktiv unter Verwendung des Modalverbs „sollen“ statt: „Ein Testbetrieb sollte geprüft werden“, „KMU und Startups sollten sichtbare und wertvolle Arbeit erhalten“, „der NewSpace-Ansatz mit adaptiven Entwicklungs- und Produktionsmethoden, größerer Risikobereitschaft und mehr privatwirtschaftlichen Investitionen sollte über wettbewerbliche Ausschreibungen in die Gesamtfunktionalität der IRIS²-Konstellation integriert werden“.
Einen Grund, auf die aufgeführten Erwartungen und Anregungen einzugehen, nennt der Brief nicht. Bis Redaktionsschluss sah bei den Großunternehmen bis jetzt offenbar auch niemand einen, ihn zu beantworten.
Zumindest dies aber ist klar: Ende März hebt sich der Vorhang zum dritten Akt.
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