Das “größte Projekt der EU“, wie Kommissar Thierry Breton IRIS2 gerne titulierte, war von Anfang an ein schwieriges Unterfangen; mittlerweile befindet es sich in den größten Schwierigkeiten. Dafür gibt es einen prinzipiellen und ganz zentralen Grund: Nichts von all dem stimmt, womit für das Projekt geworben wurde, die prominentesten Punkte:
- Eine 30-prozentige Beteiligung von KMU – in Sonntagsreden versprochen, im Gesetzestext von vornherein vollständig ausgehebelt
- Eine zuverlässige Technik auch für kommerzielle Zwecke – weder kommerziell vernünftig noch technisch zuverlässig war von Anfang an der Plan, diese Fähigkeiten der Konstellation einfach mal zwischendurch abzuschalten, sollte es Brüsseler Beamten an Bandbreite zu mangeln beginnen
- Eine faire Verteilung von industriellen und institutionellen Aufgaben unter den beteiligten Ländern der EU – stattdessen die Frankreich-lastige Zusammensetzung des monopolistischen Konzern-Konsortiums und der Abgesang Brüssels auf ein deutsches Kontrollzentrum
- Gesamtkosten von sechs Milliarden Euro – kaum verkündet, schon verdoppelt
- Eine Öffentlich-Private Finanzierung unter Beteiligung der Industrie als wirtschaftliche Grundlage – die beiden größten Player, Thales und Airbus, ziehen sich unter schriftlichem Verweis auf das Fehlen der Mindestanforderungen für ein erfolgreiches und wirtschaftlich vernünftiges Projekt aus dem Konsortium zurück und hinterlassen alle Beteiligten mit einem Defizit von aktuell mindestens vier Milliarden Euro, sodass SES, Eutelsat und Hispasat (zusammen etwa 4,4 Milliarden), die EU-Kommission (2,4 Milliarden Euro) und die ESA (600 Millionen Euro) das Projekt mit ihren vorgesehenen Beiträgen allein so nicht stemmen können
- Abgesehen davon gehen Expertenschätzungen ohnehin eher in Richtung 15 statt knapp 12 Milliarden Euro Gesamtfinanzierungsbedarf; aber auch Zahlen wie diese sind dabei nur tagesaktuelle Schlaglichter. Zur Einordnung: Galileo hat schon gezeigt, zu welchen Steigerungsraten bei den Kosten die EU fähig ist, und seither ist nicht auszuschließen, dass die EU an Fähigkeiten gewonnen haben könnte.
Nicht weiter verwunderlich, dass dank ausgeprägter Sachkenntnis meinungsführende Medien bereits zum Schluss kommen, das Projekt sei gescheitert. Bei der Kommission will man dies nicht wahrhaben und setzt dem Restkonsortium SpaceRise eine Angebotsfrist bis zum 2. September; passt dann das Zahlenwerk in den politischen Rahmen, könnte die Kommission bis 25. September genehmigen und kurz darauf unterschreiben. Wird der Vertrag auch dann nicht unterzeichnet, fällt das Projekt nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich der Kommission und muss neu gestartet werden, wobei die Gefahr besteht, dass es aufgegeben wird. Im Moment sieht es in Brüssel gerade danach aus, als könnte man sich zwischen Rest-Konsortium (SES, Hispasat, Eutelsat) und Kommission darauf verständigen, dass man das Projekt einfach teurer macht und eventuell dem Steuerzahler jetzt tiefer in die Tasche greift.
Dem Druck dieses Zeitplans gibt zumindest eine Partei im ganzen Konzert nicht nach: die deutsche Bundesregierung. Denn neben verhaltenem Lob für Bretons Initiative kam von ihr schon konsequent und kontinuierlich seit Jahren die Frage, wer diese Konstellation denn überhaupt braucht. Da sie in der ganzen Zeit nicht beantwortet wurde, soll nun eine entsprechende Studie (50YB2402) der DLR Raumfahrtagentur den tatsächlichen deutschen Bedarf ermitteln. Man wird auf viele Facetten und Aspekte dieser Studie gespannt sein dürfen – nur eines steht schon jetzt so fest wie Fels: bis zum 2. September ist die nicht fertig.
Quelle u.a.: https://advanced-television.com/2024/07/29/iris2-subject-to-a-major-rethink/