Kommentar
Wenn der derzeitige Justizminister, der heutige Finanzminister, der zur Zeit noch im Amt befindliche Klimaminister (eigentlich auch für Wirtschaft zuständig) sowie der immer noch präsente Minister für Soziales (eigentlich auch für Arbeit zuständig) gemeinsam einen Brief an die beiden EU-Kommissare für Finanzaufsicht und Simplifizierung mit der Bitte um Abbau bürokratischer Hürden für Unternehmen ausgerechnet bei der Verpflichtung zu „grünen“ Berichten schicken, dann gibt es zwei Möglichkeiten der Deutung: entweder gerät dort gerade etwas außer Kontrolle oder hier ist Wahlkampf. Es geht aber auch noch schlimmer: wenn beides zusammenkommt.
Da ahnt man schon, dass es das geballte Vermögen zum Briefeschreiben gleich vierer Bundesminister mit der Intelligenz von zusammen rund 30.000 Ministerialen im Hintergrund braucht, um der Lage Herr zu werden. Angefangen hatte es alles um 2014 mit der Vision einer damals starken Gruppe des EU-Parlaments, die Unternehmen Europas zu nicht-finanziellen Berichterstattungen mit Belegen eines CSR-kompatiblen Geschäftsgebarens zu zwingen. Mittlerweile hatte sich bis zum beherzten Eingreifen besagter Minister vor einigen Tagen die Situation mit Hilfe einer „Corporate Sustainablity Reporting Directive“, einer „EU Taxonomy Regulation“ sowie der „Sustainability Due Diligence Rules“ reichlich verselbständigt. Allerdings gab die Situation den perfekten Rahmen zur sorgfältigen Imagekosmetik der Europaführung: dafür brauchte sie nur für ihre Politik den Begriff des „Green Deal“ aus der Taufe zu heben. Denn mit diesem rhetorischen Kunstgriff katapultierte sie sich sogleich in schwindelnde Höhen hinauf zum Denkmal des historischen „New Deal“ für ein Geschichtsbuch-Selfie auf unglaublich anmaßender Augenhöhe mit keinem Geringeren als Franklin Delano Roosevelt, der mit seinem New Deal maßgeblich die faktische Rettung der Neuen Welt im 20. Jahrhundert vorangetrieben hatte. Heute geht´s viel kommoder per copy&paste mit reiner Begriffssymbolik direkt ab in die Geschichtsbücher, während für die praktische Seite der Rettung der Alten Welt im 21. Jahrhundert dagegen so etwas wie die jüngste Anordnung zur Umsetzung einer europaweit anzuwendenden Saftflaschenverschlussinnovation nach Einwegkunststoffkennzeichnungsverordnung gemäß EU- Einwegkunststoffrichtlinie vollkommen ausreicht – zusammen mit der Bewaffnung der EU-Kontrolleure mit den Mitteln der CSR-Direktive. (Zum einmaligen Rhetorik-Talent der Herrin Europas siehe auch den entsprechenden KTR-Bericht EU-Weltraumgesetz: Große Aufgaben erfordern größte — Rhetorik.
Insgesamt sieben EU-Länder, darunter auch Deutschland, haben jedoch in all den Jahren versäumt, die von der EU im Green Deal – Begeisterungstaumel vorgegebenen Regeln in nationales Recht umzusetzen. Aus diesem Grund war von der EU-Kommission Ende 2024 die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland zu erwarten. Das stört, ist unangenehm und kann zu allem Überfluss auch noch teuer werden. Und das ausgerechnet jetzt, wo es doch darauf ankommt, nur noch ein paar Tage bis zum 23. Februar durchzuhalten und immer wieder zu zeigen: die Politik liebt alle Menschen, sogar Unternehmer und andere der verdächtig produktiven Sorte – verdächtig schon deshalb, weil sie produktiv sind – , die allen Bürokraten ihre Apanagen zahlen. Ein heikler Balanceakt, wo nun gerade diejenigen, deren Ideen und Handeln die CSR-Bürokratie maßgeblich verursachen, jetzt zeigen müssen, wie tapfer sie genau diese bekämpfen. Noch weiter mit dem Grund für´s eigene Tun jetzt aus dem Busch zu kommen, wäre allerdings fatal. Denn wie erklärte ein Abgeordneter gegenüber KTR eben diesen eigentlichen Grund für staatliche Regulierungsbürokratie? „Regulierung ist unerlässlich, um kriminellen Energien entgegenzuwirken. Wenn die Moral der Menschen besser wäre, könnten wir uns einen großen Teil der Regulierung sparen“.
Welch´ ein Glück, mag man sich da sagen, dass in der Demokratie die besseren Menschen die Regeln für die schlechteren machen, und die schlechteren wissen, dass sie nur die besseren wählen dürfen! Die erkennen sie übrigens ganz einfach: weil die selber sagen, dass sie es sind, und obendrein stets all´ die anderen nennen, die nicht dazu gehören. Wer sollte da noch etwas falsch machen?
Auch etwas die behördliche Ruhe störend kam dann auch noch massives Querfeuer der deutschen Industrie im Gewand ihres mächtigsten Verbandes, des BDI daher. Schließlich sollten in erster Näherung schon ab 2024 rund 15.000 Unternehmen in Deutschland zur grünmoralinen Rechtfertigung ihres geschäftlichen Tuns und Seins verdonnert werden. Und zwar mit der Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts, dessen externe Prüfung durch teure Beratungsunternehmen (EU-Chefin von der Leyen hätte dafür bestimmt noch aus dem BMVg eine Sammlung von Visitenkarten) und interne Prüfung durch den Aufsichtsrat mit Mehrkosten von insgesamt jährlich € 1.575.381.000 zu Buche schlägt, berechnet über alle direkt betroffenen Unternehmen in Deutschland hinweg. Hinzu kommen einmalig € 828.958.000 mal eben so. Das sind durchschnittlich jährlich € 107.674 und einmalig € 56.657 für jedes der 14.631 Unternehmen.
Diese Zahlen hat das Bundesjustizministerium ermittelt und damit den BDI und andere endgültig auf die Zinne getrieben. Beinahe wäre sogar im Juli 2024 schon das ganze Paket durch das Bundeskabinett verabschiedet worden, zumindest Grüne und SPD waren sich da schon einig. Allein die FDP verhinderte jedoch den beabsichtigten Durchgriff, so blieb die Sache bis Ende letzten Jahres ohne Lösung hängen – und jetzt stört sie gleich zweifach: durch den drohenden Kontrollverlust in Brüssel und die ebenfalls drohende nachteilige Wirkung im Wahlkampf in Deutschland.
In ihrem Brief, der KTR vorliegt, listen die Vier sehr präzise ihre Lösungsvorschläge auf. Als erstes und über alles empfehlen sie eine Verschiebung der CSRD um zwei Jahre für Public Interest Entity-KMU und große Unternehmen. Was dadurch besser werden soll und vor allem für wen – dazu am Ende mehr. Außerdem soll der Begriff der „large undertakings“ enger gefasst werden, und siehe da: wie durch ein Wunder sind plötzlich viel weniger Unternehmen betroffen, weil sie keine „large undertakings“ mehr sind! Bei alledem sind die Vier auch noch so gründlich, dass sie den so deutlich verminderten „trickle-down“-Effekt auf KMU hervorheben: Wenn weniger große Unternehmen ihre Berichtslasten an die kleinen Zulieferer weitergeben, kommen bei denen weniger Berichtslasten an! Zehn Jahre Zeit zum Nachdenken über die Sache haben sich eben echt gelohnt. Aber damit nicht genug: wenn man nun auch noch auf die Einhaltung sektorenspezifischer Standards verzichtet, so die Vier, reduziert es den Aufwand der Unternehmen deutlich, weil sie – man ahnt es schon – eben diesen Extraaufwand der Einbeziehung sektorenspezifischer Standards dann nicht mehr treiben müssen: es wird immer besser!
Andererseits: Wenn die Rettung der Welt jetzt erst mal Pause hat, weil gerade eben die Rettung der Retter Priorität hat, dann folgt daraus dreierlei:
Erstens kann es ja mit dem „Green Deal“ wohl nicht so dringend sein, wenn er frei verschiebbar ist; die rhetorische Selbstüberhöhung mit der Parallele zum New Deal entlarvt sich damit als Peinlichkeit historischen Ausmaßes auf dem Jahrmarkt der EU-Eitelkeiten.
Zweitens: das ganze Raster von zugrundeliegenden Definitionen und Zahlenspielen ist völlig willkürlich, eben nach echter Gutsherrenart beliebig festgelegt worden. Und wenn hier sowieso alle Zahlen gleichrangig und damit beliebig austauschbar sind, dann kann man stattdessen auch generell die Null setzen.
Drittens, die Vier wie auch die EU-Kommission nehmen es offensichtlich billigend, quasi als „Naturgesetz“ in Kauf, dass Großunternehmen ihre Berichtslasten auf die zuliefernden KMU abwälzen. Regelungen, die das achselzuckend einfach so als Kollateralschaden durchgehen lassen, entbehren, um Kanzler Scholz` Feuerzangenbowlen-Zitat zu nutzen, „der sittlichen Reife“ in der Politik.
Der Vollständigkeit halber bleibt dies noch anzumerken: Angesichts seines fortgesetzten vielfachen Mißbrauchs ist dem Begriff der „Priorität“ dringend anzuraten, jenseits der Außengrenzen der EU um politisches Asyl nachzusuchen. Denn mit einem politischen Aussagewert von Null wartet auf ihn hier nur noch das Ende aller Prioritäten.
Doch nun zu oben gestellter Frage, warum in zwei Jahren denn alles wieder auf Anfang gedreht werden soll – ist bis dahin alles wieder so gut, dass die Menschen und auch die Unternehmen einschließlich KMU dann wieder die Gängelei von Gedanken wie Geschäften durch Berufsbessere locker wegstecken? Natürlich nicht. Aber selbst wenn es wieder einen Aufschrei gibt: in zwei Jahren befindet sich die nächste Bundesregierung in der Halbzeitpause. Alles, was dann beschlossen wird – und idealerweise auch noch im kollektiven Halbschlaf der Republik kurz vor den Sommerferien wie beim letzten Versuch – wird bis zur regulären Bundestagswahl 2029 sowieso der Halbwertszeit des Wählergedächtnisses zum Opfer fallen. So auch der Umstand, dass die Vier mal zusammen einen Brief geschrieben haben, mit dem sie sich in Wahlkampfzeiten den Opfern ihrer Bürokratie anbiederten, um genau diese – insbesondere KMU – dann zwei Jahre später umso schmerzvoller wieder zu kielholen.
Jedenfalls hat das bisher immer ganz prima geklappt. Und wenn diesmal nicht, gibt´s vom nächsten Gesundheitsminister bestimmt eine Extra-Runde Cannabis für alle.
Ist schließlich ein Grundnahrungsmittel in Absurdistan.
Quellen und Weiterführendes:
https://konbriefing.com/de-software/esg/csrd-kosten-aufwaende.html
https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1024776
https://bdi.eu/publikation/news/vorschlaege-zur-nachbesserung-der-csrdumsetzung-in-deutschland
https://www.drsc.de/app/uploads/2024/05/240507_Broschuere.pdf