Klartext Raumfahrt

Nihil fit sine causa

„Schattenkoordinator“ Jarzombek legt Finger in die Wunde der Raumfahrtpolitik

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KTR-kommentierte Situationsanalyse: Stringente KMU-Politik ist der Schlüssel

Wenn ein ausgewiesener Experte mit dokumentierter Erfolgshistorie der eigenen Amtszeit nun als „Schattenkoordinator“ die aktuelle Situation beleuchtet, dann ist dies wert,  Anlass, nicht Ende einer breiten Debatte zu sein. Im Folgenden kommentiert respektive komplettiert KTR die Aussagen von Thomas Jarzombek und stellt die Kernelemente zur Diskussion.

Nüchtern stellt Jarzombek fest: „Die Begeisterung über den lange verzögerten Start der #Ariane 6 kann ich so nicht teilen, wie es hier überall zu lesen ist. Für eine seriöse Analyse, wo die europäische Raumfahrt steht, muss man ein paar Dinge offen aussprechen:

  1. Ariane 6 kommt Jahre zu spät.
  2. Auch vor Jahren wäre sie nicht im Ansatz wettbewerbsfähig gegenüber der Falcon 9 gewesen, aus verschiedenen Gründen.
  3. Das Negieren dessen durch zentrale Akteure ist ein noch größeres Problem als der Punkt 2 an sich.
  4. Die Entwicklung samt aller Begleitprogramme hat nach meinem letzten Stand schon über 5 Mrd. Euro verschlungen und ist damit um ein Vielfaches teurer als die Aufträge der NASA für SpaceX.“

Das trifft in der Tat alles zu: Ariane 6 sollte – im Vergleich zur Ariane 5 – ursprünglich mit doppeltem Tempo zu halbierten Entwicklungs- und später auch Betriebskosten als kommerziell ernsthafte Konkurrentin der Falcon9 entgegengestellt werden.  Nichts davon wurde Wirklichkeit. Dies alles ist allen bekannt, aber aus offensichtlicher Erleichterung, dass die erste Testmission nun erst im letzten Flugabschnitt – und damit weit weg von den Argusaugen der Fernsehkameras – zum teilweisen Fehlschlag wurde, feierten sich die Etablierten als Väter des Erfolgs. Das mag psychologisch noch nachvollziehbar sein. Aber Jarzombeks Analyse legt mit der Feststellung, das Negieren des gelisteten Punktes 2 durch zentrale Akteure sei ein noch größeres Problem als die Sache selbst, den Finger tief in diese Wunde der europäischen Raumfahrt. Er sagt doch nichts anderes, als dass wir uns selbst gnadenlos in die Tasche lügen, wenn wir ein Feuerwerk ungebremster öffentlicher Begeisterung nach dem anderen zünden. Wenn man aber die PR mit dem Auftrag von der Kette lässt, in der Kommunikation komplett postfaktuelle Welten aufzufahren, wird das zwangsläufig mal ein böses Erwachen geben. Und man fragt sich folgerichtig: warum nur? Jarzombek bietet diese Erklärung an: „Das Hauptproblem der europäischen Raumfahrt ist fehlender Wettbewerb. Bei den deutschen Microlaunchern kann man sehen, welche Dynamik durch Wettbewerb freigesetzt wird. Letztlich ist es doch nicht so schwer, das System der NASA zu übertragen.“  

Das trifft sicher zu, doch sollte auch ausgesprochen werden, wofür diese These vom fehlenden Wettbewerb im Kern steht: Da Wettbewerb überhaupt nur aus den Reihen der KMU und Startups kommen könnte, ist die Verhinderung von Wettbewerb also eine marktprotektionistische Maßnahme zugunsten der etablierten Groß-Player und gegen KMU und Startups. Wenn Jarzombek dann die Geschichte der drei deutschen Microlauncher als Beleg seiner Argumentation anführt, mag dies aus Sicht der technischen Entwicklung wie auch der politischen Förderung der drei konkurrierenden Startup-Produkte so stimmen, greift aber, ohne einen entscheidenden Punkt zu nennen, doch noch etwas zu kurz, wie dies beweist: Wenn es hart auf hart kommt, verhindern nicht genannte Behörden aus der sicheren Deckung ihrer Anonymität die Umsetzung konkreter Startoptionen dieser Träger – zumindest aus dem eigenen Land heraus – auf unbestimmte und damit infinite Zeit. So geschehen wie bekannt im Zusammenhang mit der Realisierung der schwimmenden Startplattform in der Nordsee für die RFA One.

Währenddessen haben die beiden anderen Kontrahenten Deutschland als möglichem Startplatz schon längst den Rücken gekehrt und sich über die Nordsee Richtung Schottland und Norwegen, über den Atlantik nach Fr. Guyana und den pazifischen bzw. indischen Ozean nach Australien in Bewegung gesetzt. Nimmt man das in diesen Zeiten besonders schwerwiegende Argument ernst, man brauche Kleinträger auch als Mittel der „rapid response“ der Bundeswehr, dann bleibt die konsternierte Frage, warum man diese Träger denn dann aus dem Lande treibt? So behäbig kann es doch auch bei der Bundeswehr  nicht zugehen, dass dort das gemütliche Schippern der Rakete zum Startplatz auf der anderen Seite der Welt noch unter „rapid response“ fällt. Wenn das also nicht gemeint ist, dann bleibt rein von der Logik her die Möglichkeit der Schlussfolgerung, dass das mit den flexiblen Kleinträgern auch für hoheitliche Zwecke eher theoretisch gemeint war, stattdessen die ganze Szenerie nur mal wieder eine Spielwiese für die Kleinen eröffnen und damit dem Abbau des Drucks aus Richtung KMU und Startups auf die Politik dienen sollte.

Für diese Sichtweise spricht der Umstand, dass Breton bei IRIS2 in der Tat eben genau nach diesem Schema handelte, KMU und Startups und mit ihnen den Wettbewerb durch pseudointegrative Aktionen auf Abstellgleise setzte, um im Hintergrund wie von Anfang an geplant die Vergabe des Gesamtprojektes an das Monopolkonsortium der (mehrheitlich französischen) Konzerne einzufädeln. Und tatsächlich kommt auch Jarzombek dann zu ähnlichem Ergebnis:  “Doch der vom Industriekommissar aus rein politischen Gründen angezettelte Machtkampf gegen die gut aufgestellte European Space Agency – ESA und das Ausbremsen von Wettbewerb bei der Konstellation IRIS2 lässt die europäische Raumfahrt mit ihren exzellenten Ingenieuren weit hinter ihren Möglichkeiten zurück.“

Ein weiteres elementares Stichwort fällt dabei ebenfalls: das Motiv der Macht. Wenn es bei politischen Projekten keinen weiteren Raum für logische und aus der Sache selbst heraus entwickelten Argumente mehr gibt, dann bleibt in der Regel nur noch die starke Vermutung eben dieser einen zentralen Triebfeder. Dafür lassen sich dann auch weitere Phänomene anführen, wie etwa die Ergreifung der Kontrollmacht über den Weltraumverkehr durch die EU-Kommission mit Einrichtung und Betrieb der EU-SST, die auf Kosten der deutschen und europäischen Steuerzahler weltweit allen Konkurrenten der deutschen und europäischen Raumfahrt sowie den Konzernen dieses Kontinents umsonst Services der Flugüberwachung und Kollisionsvermeidung anbietet, welche kommerzielle Unternehmen eigentlich auch von kommerziellen Dienstleistern beziehen müssten. Stattdessen werden die Geschäftsgrundlagen dieser Serviceunternehmen – und das sind dann wieder KMU und Startups auch in Deutschland – durch die asymmetrische Konkurrenz der Staatsmacht vernichtet.

Ein Ergebnis der Ariane6-Mission, welches die EU-SST nun auch auf den Monitor nehmen kann, ist der Umstand, dass die Oberstufe vermutlich etwa ein Jahrzehnt brauchen wird, um den Raum als fliegendes Schrottgeschoss wieder zu verlassen. Das ist doppelt so lange, wie es die auch bei der ESA selbst gültigen neuen Deorbit-Vorschriften für Weltraummüll vorschreiben. Dass sie dafür nicht ausgerüstet wurde, hat – leuchtet man die Debatte daraufhin aus – offenbar niemanden gestört.

In der Raumfahrtpolitik werden eben oft genug die Maßstäbe für den Anlass passend gemacht statt umgekehrt. Gut, dass es da noch Politiker gibt, die das zur Sprache bringen. Auf KTR steht jedenfalls immer eine Plattform für sie bereit.

Quelle: MdB Thomas Jarzombek auf linkedin am 14.07.2024

„Die Begeisterung über den lange verzögerten Start der #Ariane 6 kann ich so nicht teilen, wie er hier überall zu lesen ist. Für eine seriöse Analyse, wo die europäische Raumfahrt steht, muss man ein paar Dinge offen aussprechen:

  1. Ariane 6 kommt Jahre zu spät.
  2. Auch vor Jahren wäre sie nicht im Ansatz wettbewerbsfähig gegenüber der Falcon 9 gewesen, aus verschiedenen Gründen.
  3. Das Negieren dessen durch zentrale Akteure ist ein noch größeres Problem als der Punkt 2 an sich.
  4. Die Entwicklung samt aller Begleitprogramme hat nach meinem letzten Stand schon über 5 Mrd. Euro verschlungen und ist damit um ein vielfaches teurer als die Aufträge der NASA für SpaceX.
  5. Wo ist die europäische Internet-Konstellation, die es mit Starlink aufnehmen kann und für die der Launcher das Rückgrat sein muss? Und wo ist ein Trägersystem, dass auch zu Mond und Mars fliegen kann wie Starship?

Das Hauptproblem der europäischen Raumfahrt ist fehlender Wettbewerb. Bei den deutschen Microlaunchern kann man sehen, welche Dynamik durch Wettbewerb freigesetzt wird. Letztlich ist es doch nicht so schwer, dass System der NASA zu übertragen.

Doch der vom Industriekommissar aus rein politischen Gründen angezettelte Machtkampf gegen die gut aufgestellte European Space Agency – ESA und das Ausbremsen von Wettbewerb bei der Konstellation iris² lässt die europäische Raumfahrt mit ihren exzellenten Ingenieuren weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Daran ändert auch ein Fehlstart von insgesamt 340 bei Falcon nichts, einen solchen track record muss man erst einmal hinlegen!

Ein Kompliment mache ich am Ende Josef Aschbacher und seinem Team, der unter den gegebenen Rahmenbedingungen das schwierige Projekt doch noch zum Fliegen gebracht hat.

Für die nächste Generation großer europäischer Launcher wie auch leistungsfähiger Konstellationen braucht es: Wettbewerb.

Denn wir bringen alles mit, um ein großartiger Raumfahrtkontinent zu sein. Lasst uns dafür den richtigen Rahmen schaffen!“

Rocket Factory Augsburg – RFA Isar Aerospace HyImpulse