Klartext Raumfahrt

Nihil fit sine causa

Starlink: Rock´n Roll auf Low Earth Orbit

Distribution of space debris around Earth
© ESA 432604

Die Gefahr für und durch die Megakonstellation wächst bis 2027 auf 160.000 mögliche Unfälle pro Jahr

SpaceX hat sich zu einem Zero-Debris-Verhalten verpflichtet und übt vorbildliche Transparenz hinsichtlich aller Vorgänge und Effekte seiner Megakonstellation. So hat das Unternehmen pünktlich zum Ende des ersten Halbjahres 2024 der FCC den aktuellen Statusreport zur Starlink-Konstellation zugestellt; darin trifft SpaceX die Feststellung, dass im Zeitraum zwischen Dezember 2023 und Mai 2024 die Zahl der Ausweichmanöver von Starlink-Satelliten zur Vermeidung von Kollisionen mit Exemplaren der eigenen Art, anderem Schrott und fremden Raumfluggeräten gegenüber dem Vorjahr von rund 25.000 auf nunmehr 50.000 angewachsen sei. Die Kostellation selbst ist im letztgenannten Halbjahreszeitraum  dabei „nur“ von 5.100 auf 6.200 gewachsen. Insgesamt fliegen alle Starlinks derzeit zusammen 275 Ausweichmanöver am Tag, jeder Satellit zündet nun 14-mal in sechs Monaten seine Triebwerke zur Kollisionsvermeidung. Das rasante Anwachsen der Manöverzahl hat auch seinen Grund darin, dass SpaceX freiwillig die Sensibilität der bordeigenen KI, welche allein über Ausweichen oder Nichtausweichen entscheidet, um eine Größenordnung auf die Wahrscheinlichkeit von Eins zu einer Million erhöht hat. Dass ist immerhin einhundert Mal sensibler als der derzeitig gültige Standard der Industrie. Auch diese Umstellung ist ein Grund für die erhöhte Ausweichtätigkeit.

Innerhalb des Sechsmonatszeitraums wuchs die Starlink-Konstellation von rund 5.100 operativen Satelliten auf 6.200 Raumfahrzeuge.

Zwei Seiten der Medaille

Zwar ist es im Prinzip lobenswert, dass SpaceX seiner Verantwortung als definitiv und mit Abstand größter Player auf LEO durch konkrete Maßnahmen gerecht zu werden bemüht ist. Allerdings ist die Kehrseite dieser Medaille, dass mit der Zahl der Kollisionsvermeidungen die Vorhersage künftiger Kollisionen unsicherer wird, denn jedes Manöver verzögert die Vorhersage der Satellitenbahnen um mehrere Tage. Nach den Manövern können die tatsächlichen Positionen der Satelliten um bis zu 40 Kilometer von den vorhergesagten abweichen, wodurch die Kollisionsvorhersagen ungenau werden. Des weiteren steigt mit zunehmender Zahl der Eingriffe in die Flugbahn der Treibstoffverbrauch, das verkürzt die Betriebsdauer des Satelliten und treibt die Frequenz der Neustarts von Satelliten in die Höhe. SpaceX arbeitet weiter am Aufbau der Starlink-Megakonstellation, die schließlich bis zu 42.000 Satelliten umfassen könnte. Je nachdem, wie viele Satelliten tatsächlich darüber hinaus neu plaziert werden könnten, besteht die Möglichkeit, dass die Zahl der Ausweichmanöver allein der SpaceX-Konstellation in den nächsten drei Jahren auf bis zu 160.000 anwächst.

Dabei ist noch nicht gesagt, ob und wenn, auf welchem Sensibilitätsniveau die KI der Starlinks auch diesen Rekord knackt, noch, wie die Satelliten anderer Betreiber damit fertig werden, und schließlich ist ebenfalls eher nicht klar, ob und wie die Kollisionsvermeidungsprofis am Boden damit umgehen können. Letzteres einfach deshalb nicht, weil nach derzeit bekanntem Stand der Dinge noch niemand dahingehende Prognosen abgegeben hat.

Erst aber, wenn man unter anderem dies alles weiß, wird sich auch abschätzen lassen, wieviel Platz für andere neben der Starlink-Flotte überhaupt noch übrig sein wird. Das wiederum hängt auch davon ab, in welchem Maße die Verwendung von Onboard-Deorbiting-Technik zunimmt, die ohne Treibstoffverbrauch auskommt, welcher ja schon durch Ausweichmanöver die Missionszeiten kürzer macht. Und zwar erheblich kürzer, denn für Manöver im All dürfen Satelliten, die noch immerTreibstoff zum Deorbit benötigen, schließlich nur 40 Prozent ihres Sprits für den Missionseinsatz verbrauchen. Der „Rest“, also 60 Prozent des gesamten Tankinhalts, geht für die Entsorgung des Satelliten innerhalb von maximal fünf Jahren nach Missionsende drauf, wenn sie diese Deorbit-Methode anwenden – die damit für die Betreiber noch teurer wird, also sie ohnehin schon ist.

Es bleibt auf LEO wohl noch ein wenig beim Rock`n Roll. Aber wenn sonst nichts passiert, kommt bald danach die Stunde des Bump Dance.

 

Quellen u.a.:

https://licensing.fcc.gov/cgi-bin/ws.exe/prod/ib/forms/reports/related_filing.hts?f_key=-443498&f_number=SATMOD2020041700037

https://www.space.com/spacex-starlink-50000-collision-avoidance-maneuvers-space-safety

https://www.space.com/satellites-collision-avoidance-maneuvers-increase-collision-risk