Wer die Wahl hat, hat die Qual: Rolle der Raumfahrt im Bundestagswahlkampf 2025 der Parteien

Reichstag Berlin
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Von einem unbekannten Aphoristiker soll die Zeile stammen: „Wahlkampf ist das Versprechen, das man nach der Wahl gern vergisst.“ Egal, ob das nun stimmt oder nicht:

Es gibt Situationen, in denen politisch-probate Vergesslichkeit von Politikern nichts nützt – etwa, wenn es um die schriftliche Selbstverpflichtung zum Einsatz für ein bestimmtes Thema geht. Hier gilt: wer schreibt, der bleibt – und zwar vor allem im kollektiven Gedächtnis der Archive. Die politische Paradedisziplin der schriftlichen Selbstverpflichtung mit Langzeitwirkung ist das Wahlprogramm, mit dem sich Parteien voneinander zu unterscheiden suchen. Grund genug, hier der Frage nachzugehen: Wie stellen sich die Parteien zur Raumfahrt und, wenn möglich, besonders zu Raumfahrt-KMU angesichts des drohenden Urnengangs der Republik?

Herangezogen wurden Programme von politischen Parteien, die unter Einrechnung von Toleranzen nach allen Prognosen bei der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 das Ziel des Einzugs ins Parlament erreichen oder ihm doch sehr nahe kommen könnten. Dazu zählen die derzeitige Regierungspartei SPD und die Herausforderungsunion aus CDU und CSU, die ebenfalls derzeit noch regierenden Grünen und auch die FDP, zudem die feldstarke Opposition der AfD und die weniger starke, aber nicht minder hoffnungsvoll auftretende von BSW und Linken.

Die zentrale Frage an dieser Stelle lautet also: Welches politische Versprechen ist ihnen die Raumfahrt wert?

Ausdrücklich sei vorangestellt, dass es hier nicht um eine erschöpfende Darstellung der Programme geht. Dort, wo doch etwas weiter ausgeholt wird, dient dies nur dem Ziel der Einbettung unserer zentralen Frage nach der Bedeutung der Raumfahrt im jeweiligen Programm.

Für die derzeitigen Parteien der gescheiterten Regierung ist die Glaubwürdigkeitsfrage ein allererstes Hindernis, um mit Aussagen zu konkreten Themen überhaupt bis zum Wähler vorzudringen. Denn hier steht unausgesprochen und pauschal zunächst der Einwand im Weg: wenn es dies und das zu verbessern gibt, warum hat man das nicht einfach schon längst selber gemacht?

Die SPD geht an dieser heiklen, weil potentiell bruchgefährdeten Stelle der Argumentation sehr gründlich vor und verspricht „Investitionen, Innovationen und Infrastruktur“ als Grundbedingung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, das Aufblühen von Industrie, KMU und Start-Ups und für Beiträge zum Gemeinwohl durch fleißige Arbeit der Menschen. Offenbar, so wird insinuiert, waren diese Grundbedingungen in all den Jahren der eigenen Regierungszeit nicht erfüllbar, und deshalb wurden auch Technologien nicht entsprechend ihrem Wert für die ökonomische Zukunft des Landes von der Politik gewürdigt. Als technologische Top-Prioritäten für die Bundespolitik nennt das SPD-Programm die Felder KI, Quantencomputing, Robotik und Netzwerktechnologien. Aufblühen sollen damit vorrangig die Branchen Stahl, Automobil, Maschinen- und Anlagenbau, Chemie und Pharma. Im Zentrum regierungsseitiger Förderung sollen Forschung und Wissenschaft stehen; die Bürokratie soll sich durch verstärkte Digitalisierung ihrer Prozesse und Berichtspflichten (aber nicht durch ihre Abschaffung) reduzieren, und eine neue Behörde unter dem Namen „Deutsche Agentur für Transfer und Innovation“ soll diese Ziele zum Erfolg führen. Mit dem Titel „Mehr für Dich. Besser für Deutschland“ erhebt das SPD-Programm prinzipiell den Anspruch, dass es für jeden und alles im Land die bessere Lösung parat hat – für so ziemlich alles außer für die Raumfahrt, denn schon das Wort Raumfahrt kennt dieses Programm nicht.

Ganz anders da der Herausforderer CDU/CSU. Auch die Union kennt die Bedeutung vorangestellter Buzzwords, bei ihr ist es das Kunstwort FITT aus „Forschung, Innovation, Technologien und Transfer“.  Künstliche Intelligenz und Digitalisierung sehen hier ebenfalls im Fokus staatlich förderungswürdiger Bereiche, wobei letztere nicht der erleichterten Bedienung von Berichtspflichten zugeführt werden soll, da man diese Berichtspflichten selbst wie die Bürokratie insgesamt weitgehend abschaffen will – in Deutschland wie in der EU.

Eine HighTech-Agenda zur Reindustrialisierung des Landes wird, so das Versprechen, im Falle der Regierungsübernahme die zentralen Zukunftstechnologien in den Mittelpunkt der politischen Bemühungen stellen. Und dies sind: Luftfahrt, Raumfahrt, Quantencomputing, KI, Fusionsenergie, Biotechnologie, Batteriezellen und Mikroelektronik. Dabei steht die Raumfahrt so hoch auf der Prioritätenleiter, dass ihr sogar noch eine zweite konkrete Selbstverpflichtung bei CDU/CSU zuteil wird, wenn es im Wahlprogramm heißt: „Wir werden eine neue ambitionierte Raumfahrtstrategie verfolgen“.

Industriepolitisch liegt bei CDU/CSU ein weiterer Schwerpunkt auf der Förderung von etablierten KMU und frischen Start-Ups. Damit teilt sie ein wesentliches Moment politischer Motivation mit der FDP, die unter dem Titel „Alles lässt sich ändern“ mit ihrem Wahlprogramm einmal mehr den Anspruch untermauert, kompromisslos als Partei für Optimismus, Freiheit, Individualität und unbegrenzte Möglichkeiten zu stehen.

Als Aufgabe von ganz zentraler Bedeutung sieht die FDP die staatliche Stärkung des gesamten Prozesses von der Grundlagenforschung über die angewandte bis zum Transfer in die Privatwirtschaft. Innovation als Schlüssel für die Zukunft findet, so das Argument der Liberalen, am besten an einem für Spitzenforscher attraktiven Standort statt. Technologie- und Forschungsfelder von prioritär eingeschätzter Bedeutung sind Fusionskraftwerke, Gentechnik, Stammzellenforschung, Künstliche Intelligenz und Quantenphysik. Feindbild auch hier ist die Bürokratie, und zwar sowohl die bundesrepublikanische wie auch die der EU. Als besonders förderungswürdig durch deutliche Entlastung dagegen werden Mittelstand bzw. KMU hervorgehoben. Wenn auch vielleicht die Autoren des FDP-Programms Raumfahrt bei dem einen oder anderen Oberbegriff mitgedacht haben mögen: genannt wird hier nicht.

Etwas anders stellen sich die Grünen dar. Unter dem Titel „Die Grünen: Zusammen wachsen“ beschwören sie einleitend die bekannte Formel, derzufolge sie sich selbst und andere in ihrer Funktion als Säulen der Demokratie zunehmend „Hass und Anfeindungen“ seitens jener ausgesetzt sehen, die sie aus dem Kreis der legitimen Akteure der Demokratie ausgeschlossen sehen. Dies mache die politische Selbstbehauptung nicht leichter in einem Umfeld, das von „Klimakrise, schlecht ausgestatteten Kitas, Papierkrieg mit Ämtern und verspäteten Zügen“ gekennzeichnet ist. Darüber hinaus habe der Dauerkonflikt der Ampel zu Vertrauensverlust geführt. Der Zielrahmen der Grünen beinhaltet daher etwa:

Besseres Wetter: „Wir werden den immer häufigeren Extremwettern nicht gleichgültig gegenüberstehen, sondern mit aller Kraft dafür kämpfen, dass sich das Klima stabilisiert.“

Starke EU: Eine vertiefte Digitalunion soll Unternehmen der Zukunft auch in Europa groß werden lassen. Zudem soll Europa seine Kräfte bei Forschung und Innovation bündeln, damit starke Netzwerke europäischer Universitäten, gemeinsame Rechenzentren oder Forschungsagenturen uns wieder zum Spitzenreiter bei den Zukunftstechnologien machen können. Des weiteren soll Europa zum Marktführer für nachhaltige Elektrotechnik, Chemie, Maschinenbau und Dienstleistungen werden. Denn Klima- und Ressourcenschutz, so das Argument, sorgen für gute Jobs in einem industriell wichtigen Zukunftsmarkt. Voraussetzung seien stabile Rahmenbedingungen für Zukunftstechnologien.

Digitalisierung der Wirtschaft und die Entwicklung von digitalen Geschäftsmodellen:  erleichtern. Die Grünen favorisieren verstärkte Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI), die Etablierung robuster Cybersicherheitsstandards sowie die Stärkung digitaler Kompetenzen in Unternehmen bei gleichzeitigem Abbau der Datenschutzbürokratie und versprechen zudem passende Rahmenbedingungen für interoperable Standards und für einen sicheren und effizienten Datenaustausch entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Prinzip des Staats als Ankerkunde: Der Staat sollte als vertrauensvoller Referenzkunde seine Marktmacht als Einkäufer nutzen, um innovative digitale Produkte zu fördern. Dabei sollte er insbesondere Open- Source-Anwendungen und Produkte von Start-ups und KMU berücksichtigen.

Raumfahrt nur europäisch: Durch eine stärkere Offenheit und Förderung in Schlüsselbereichen wie KI, Quantentechnologie, Mikrochips, Biotechnologie, Robotik und Raumfahrt will man wettbewerbsfähig bleiben und globale Trends mitgestalten können. Insbesondere will man den Aufbau von Produktionskapazitäten für Schlüsseltechnologien wie beispielsweise Mikrochips und Batterien weiter vorantreiben. „Wir setzen uns für eine wettbewerbsfähige europäische Raumfahrtindustrie ein, um durch Satellitenkommunikation und -navigation, New Space, (Klima-)Forschung und Erdbeobachtung unsere strategische Souveränität zu stärken.“

Abbau von Bürokratie ohne Verlust ökologischer Standards und Stärkung von Start-Ups und KMU sind weitere Positionen, die auch den Grünen bedeutend sind.

Auch bei der AfD ist der Punkt „Bürokratieabbau“ ein Thema. Allerdings geht es hier nicht nur darum, Wege zu finden, Bürokratie leichter erträglich zu machen, sondern gleich um die Abschaffung unnötiger Regeln. Dies will die AfD explizit als Beitrag zur Förderung des Mittelstandes als Herz der Wirtschaft neben ebenfalls für diesen Zielbereich geplanten steuerpolitischen Weichenstellungen verstanden wissen. Digitalisierung, quelloffene Software, sichere Hardware, eigenständige Kommunikationssoftware zum Schutz der Menschen und ihrer Rechte wie der Wirtschaft sind ebenso weitere Anliegen wie die Regenerierung und Modernisierung öffentlicher Infrastrukturen. Besonders als förderungswürdig hervorgehobene Technologien finden sich neben den genannten sowie der Kernenergie kaum, dafür aggregiert dieses Programm einerseits die Positionen auf vergleichsweise zu hohem Abstraktionslevel und konzentriert sich bei konkreten Punkten mehr als die anderen Wahlprogramme auf solche bisherigen Schwerpunkte der Ampel, von denen die nächste Regierung abkehren soll. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Raumfahrt in diesem Wahlprogramm mitgedacht wird, nur evident wird es eben nicht.

Der Linken dagegen schweben sehr konkrete, wenn auch anders gelagerte Prioritäten vor. Dazu zählen die Senkung von Wohnungsmieten sowie Heiz- und Lebensmittelkosten, die Abschaffung von Milliardären, Ehegattensplitting und Schuldenbremse, die Einführung von digitalem Geld als Zahlungsmittel und hunderte weitere Ideen mehr. Allerdings: im Gegensatz zu industriellen Klassikern wie Automobilbau, Chemie und Werkzeugbau spielt die Raumfahrt weder als Begriff noch als Konzept auf insgesamt 2.717 Textzeilen keinerlei Rolle.

Dem BSW machen ebenso wie den anderen Parteien fehlende Wohnungen und Kitaplätze, marode Straßen und Brücken, lahmendes Internet, langsame Verwaltung und noch langsamere Züge der Deutschen Bahn zu schaffen, zeigt sich darüber hinaus von Industrieabwanderung, Jobverlusten und konzernseitig gekaufter Politik betroffen. Die Raumfahrt wird hier ebenso wenig erwähnt wie bei der Linken, der FDP, der AfD und der SPD.

Fazit:

Fünf von sechs Parteien, die die Chance haben, nach dem 23. Februar voraussichtlich bis zum Herbst 2029 die Geschicke des Landes, seiner Wirtschaft und Industrie und damit auch der Raumfahrt lenken zu dürfen, zeigen an dezidiert deutscher Raumfahrt im Wahlprogramm kein explizites Interesse. Vier der sechs erwähnen nicht einmal den Begriff der Raumfahrt, eine derzeitige Regierungspartei sieht deren sinnvolle Existenzförderung in Fortsetzung der bisherigen Ampelpolitik nur im europäischen Rahmen. Lediglich das Wahlprogramm eines einzigen Bewerbers um die Regierungsmacht nennt nicht nur die Raumfahrt als Begriff, sondern weist ihr präzise Positionen im eigenen Prioritäten-Portfolio zu und verpflichtet sich darüber hinaus zu konkreter Förderung durch strategische Instrumente ihres Regierungsprogramms.

Dieses Ergebnis bestätigt die gleichgültige Haltung der meisten Parteien und Politiker im Bundestag zum Thema deutsche Raumfahrt bzw. zur Raumfahrt Deutschlands; sie zeichnete sich schon überdeutlich bei der KTR-Aktion im Herbst 2024 ab, als es noch um die Einstellungen der Volksvertreter selbst ging. Bei der Beleuchtung der Parteien hier nun bestätigt immerhin eine Ausnahme – und die dann auch sehr deutlich – die Regel. Statt nun das Thema und damit die Unternehmen, die Technologien, die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Leistungskapazitäten für das Land dahinter nach der Wahl gleich ganz zu vergessen, wie der einleitende Aphorismus nahelegt, steht es heute erst am Anfang des Marathons durch die Institutionen.

Nächster Halt: Koalitionsvertrag.

 

Quellen u.a.:

https://www.die-linke.de/fileadmin/1_Partei/parteitage/Au%C3%9Ferordentlicher_Parteitag_25/Wahlprogramm_Entwurf.pdf

https://www.politikwechsel.cdu.de/sites/www.politikwechsel.cdu.de/files/downloads/km_btw_2025_wahlprogramm_langfassung_ansicht.pdf

https://www.afd.de/wp-content/uploads/2023/05/Programm_AfD_Online_.pdf

https://www.fdp-hemer.de/alles-laesst-sich-aendern-wahlprogramm-zur-bundestagswahl-2025

https://www.bundestagswahl-bw.de/bundestagswahl-wahlprogramme

https://bsw-vg.de/wp-content/themes/bsw/assets/downloads/BSW%20Wahlprogramm%202025.pdf

https://cms.gruene.de/uploads/assets/20241216_BTW25_Programmentwurf_DINA4_digital.pdf

https://www.bundestagswahl-bw.de/fileadmin/bundestagswahl-bw/2025/Wahlprogramme/BTW_2025_Wahlprogramm_SPD_Entwurf.pdf